Über die Gewalt

Dieser Text soll einen Diskussionsbeitrag zu einer anarchistischen Debatte über Gewalt darstellen und ist daher selbstverständlich unvollständig. Er ist bewusst kurz gehalten und spricht Vieles, was in einer Diskussion Über Gewalt wichtig erscheinen mag, nicht oder nur kurz an – nicht zuletzt deshalb, um Diskussionen zu provozieren. Daher freuen wir uns speziell diesen Text betreffend Über Rückmeldungen, Gegenargumente, Kritik und Ähnliches.

Gewalt ist überall. Sie findet sich im gesamten menschlichen Leben. In unseren Beziehungen, in den Öffis, bei der Arbeit, in der Schule, auf der Straße. Kein Tag vergeht, ohne dass es zu gewaltsamen Handlungen kommt. Auch wenn die einzelnen Gewaltformen sicherlich unterschiedliche Motive oder Ursachen haben, gehören sie alle zum täglichen Leben. Ich bin weder ein Verherrlicher von Gewalt, noch bin ich ein Gewaltloser oder Pazifist – es muss um eine differenzierte Betrachtung von Gewalt gehen. Und zwar mit dem einen Ziel: um Situationen gezielt einschätzen zu können und mit dem nötigen Maß an Gewalt zu handeln. Oder eben nicht.

Der Staat hat das Gewaltmonopol. Das bedeutet, dass Polizei und Militär die einzigen sind, die Gewalt anwenden dürfen und sollen. Wenn jemand anderes Gewalt anwendet, wird er/sie abgestraft, eingesperrt oder erschossen. Für den Staat ist Gewalt also nicht etwas grundsätzlich Schlechtes, zumindest nicht, wenn sie von ihm ausgeübt wird. Wenn sich aber andere gewalttätig geben, z.B. bei Demonstrationen, die sich gegen die gewalttätigen Verhältnisse richten, folgt sofort ein Aufschrei in Politik und Medien. Die Scheinheiligkeit könnte offensichtlicher nicht sein. Und dennoch, die meisten Menschen in diesem Land finden das richtig so – denn Ordnung muss herrschen…

Als Anarchist kämpfe ich für eine Welt ohne Herrschaft – also eine Welt, in der ich nicht von Anderen beherrscht werde und in der ich Andere nicht beherrsche. Da ich vom aktuellen System, dem Kapitalismus, der Demokratie, den Richtern/Bullen/usw. beherrscht werde, bin ich folgerichtig deren Feind – und sie sind meine Feinde. Das Gewaltmonopol ist DEREN Instrument, nicht das meinige. Daher lehne ich es selbstverständlich auch ab.

Es ist ein Trugschluss, dass die aktuelle gewaltvolle Gesellschaft, in der wir leben, mit friedlichen Mitteln überwunden werden kann. Ein System, dass sein Fundament auf Gewalt gebaut hat, lässt sich nicht ohne Gewalt stürzen, da die Verteidiger des Systems bewaffnet sind. Das ist eine schlichte Tatsache. Wenn nun – wie so oft – den Anarchistinnen die Verherrlichung von Gewalt vorgeworfen wird, erscheint dies sehr absurd. Das demokratisch-kapitalistische System betreibt offensichtliche, tagtägliche Propaganda für ihre Gewalt und vor allem: Diese Gewalt wird tagtäglich tausendfach ausgeübt von den Bullen, Richtern, (Abschiebe-) Behörden, Militärs… Wer verherrlicht hier also die Gewalt? Diejenigen, die die Gewalt als Instrument der Befreiung kategorisch ablehnen, spielen damit lediglich dem staatlichen Gewaltmonopol und damit dem Diskurs der Herrschaft in die Hände. Sie tragen dazu bei, den Staat und seine Gewalt zu legitimieren und die wütende Gewalt von Unterdrückten und Rebellierenden als nicht legitim darzustellen. Sie festigen damit das Fundament der Herrschaft in dieser Gesellschaft. Und das schlimmste ist dabei, dass sie sich oft noch als „fortschrittlich“ oder gar „revolutionär“ darstellen…

Wie gesagt geht es mir um eine differenzierte Betrachtung von Gewalt. Und für mich ist es dabei sehr entscheidend, wer zur Gewalt greift und mit welcher Motivation. Ich begrüße es, wenn Leute (alleine oder kollektiv mit Anderen) zur Gewalt greifen, um sich ihrer Unterdrückung zu entledigen. Wenn aber Leute zur Gewalt greifen, um sich lediglich EINER Unterdrückungsstruktur zu entledigen, um anschließend selbst die Herren zu sein, liegt nichts Befreiendes in diesen Handlungen. Man denke dabei nur an diverse „Revolutionen“ (oder auch Staatsstreiche), wo anschließend eine noch perfidere, gewaltigere Macht auf dem Throne saß, als vor diesen „Revolutionen“. Die Revolution muss ganzheitlich gemacht werden – auf allen sozialen Ebenen – oder sie ist nutzlos. Und dazu ist – ob wir das nun wollen oder nicht – ein enormes Ausmaß von Gewalt notwendig, um mit den Schergen und Verteidigern des Bestehenden fertig zu werden…

Meines Erachtens nach heiligt der Zweck jedoch nicht die Mittel. Das ist eine Logik, die der Macht und ihren Gräueltaten entspringt und mit der ich als Anarchist nicht das geringste gemeinsam habe. Die Mittel, die von Anarchistinnen angewendet werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, müssen daher bereits den Keim einer neuen Welt beinhalten, um in jedem Moment in das soziale Geschehen einzugreifen und eine rebellische, anti-autoritäre Haltung zu verbreiten. Mit autoritären Methoden lässt sich kein Kampf um Befreiung führen. Aber die Gewalt, die notwendig ist, um Systeme zu stürzen und Revolutionen zu verteidigen, wird auch nur von den Verteidigern des Bestehenden als „autoritär“ bezeichnet…nicht von mir.

>>Erinnern wir uns immer und immer wieder daran, dass es zwischen rebellisch/wütend/ „delinquent“ und subversiv/revolutionär einen beträchtlichen Unterschied gibt. Die ersten Keime der Veränderung, der Bewahrung einer Verhaltensethik, des Traums einer anderen Gesellschaft müssen aus Taten und Worten hervorkommen. Sicherlich muss zu dem sozialen Konflikt beigetragen werden, doch indem wir ihn mit unserer Konfliktualität füllen. Mit unseren Hypothesen, unseren Experimenten und unseren Begierden. Die Wut ist ansteckend und die aktuellen sozialen Umstände blasen nur noch mehr in das Feuer. Schade, dass das Streben nach Freiheit und die Bedeutung einer individuellen Ethik nicht genauso ansteckend ist. Gerade deshalb ist es grundlegend, dass alle Taten und Worte stets mit den Zielen verbunden sind, dass es den (legalen oder illegalen) Aktionen gelingt, das Warum zu Übermitteln, den Traum, der dahinter steckt. Denn der Feind meines Feindes wird nie -a priori- mein Freund sein, denn kein Ziel kann jemals die Mittel rechtfertigen. Denn es ist Zeit, dass die Verantwortlichen dieser Gewalt und dieses Missbrauchs bezahlen. Denn es ist Zeit, die Bedeutung von Worten wie Freiheit und revolutionärer Gewalt wieder aufzudecken.«