Mein persönlicher Aufstand

Mein Ansatz des individualistischen Anarchismus bedeutet nicht, dass ich ausschließlich alleine kämpfen will. Das wird viel zu oft missverstanden. Für mich geht jede Veränderung (individuell als auch kollektiv) zuallererst vom Individuum aus, also von mir. Durch meine eigene Initiative kann ich in meine Umwelt aktiv eingreifen und dafür suche ich selbstverständlich auch nach GefährtInnen, mit denen ich ähnliche Zugänge teile. Aber ausgehend von meinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen, im Hier und Jetzt, also Sofort. Meiner Meinung nach herrscht vor allem auch in „anarchistischen“ Kreisen (von den Linken und Anderen gar nicht erst zu reden) eine drückende Initiativlosigkeit, die sich darin ausdrückt, dass man „einfach irgendwo mitmacht“ – oder eben nicht mal das. Um zu einer kollektiven Dynamik und somit auch zu einer kollektiven Perspektive gelangen zu können, ist es unerlässlich sich selbst und andere mit diesem Problem zu konfrontieren.

Wenn wir davon ausgehen, nur in Gruppenzusammenhängen oder gemeinsam mit Anderen etwas verändern zu können, ein Projekt realisieren zu können, dann sind und bleiben wir immer abhängig von Anderen. Mein individualistischer Ansatz geht aber vom Gegenteil aus. Ich alleine bin handlungsfähig, ebenso wie Andere. Und nur wenn ich selbst handlungsfähig bin, kann ich auch ernsthaft mit Anderen handeln, denn dann weiß ich was ich wie und mit wem erreichen will. Allerdings fällt diese Handlungsfähigkeit nicht einfach so vom Himmel, sondern muss erarbeitet werden. Ich muss mir die Mittel, das Wissen und auch den Mut aneignen, um die Projekte zu realisieren, die ich umsetzen will und um damit die Veränderung meiner Umwelt zu bewirken, so wie ich mir das vorstelle, auf Grundlage meiner Überzeugungen und meiner anti-autoritären Ethik. Und ich muss sowohl gegen das Gefühl der Ohnmacht als auch gegen innere und äußere Widerstände ankämpfen. Um mich (und damit auch andere) in Richtung Freiheit zu bewegen, muss ich zuallererst bei mir selbst anfangen. Und das ist eine kontinuierliche Spannung in Theorie und Praxis und kein irgendwann abgeschlossener Prozess, wo ich irgendwann „frei“ bin. Ich will starke Persönlichkeiten um mich haben, die notfalls auch alleine ihre Klauen gegen die Verantwortlichen dieser Scheisse ausfahren. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht gegenseitig unterstützen sollen oder nicht auch Moment der „Schwäche“ zulassen dürfen, im Gegenteil. Das geht aber am besten, wenn wir alle wissen, wohin wir in etwa wollen und was unsere Projekte sind. Dieser Ansatz ist eben kein Rezept für eine bessere Welt in der Zukunft, sondern spielt sich grundsätzlich in der Gegenwart ab. Und, es ist vor allem ein Anfang, ein Anfang zuallererst bei mir selbst. Ein kleiner persönlicher Aufstand sozusagen, der sich sehr gerne mit den persönlichen Aufständen Anderer in Verbindung setzen will!

Oftmals dominiert eine Beliebigkeit in der Wahl von Projekten, die auffallend stark ist. Mir scheint, dass sich die Involviertheit einzelner Leute in anarchistische Projekte oftmals eher zufällig und beliebig ergibt, als dass es eine bewusste, aktive Entscheidung der Einzelnen ist. Und dass schlägt sich auch im eigenen Antrieb in den jeweiligen Projekten nieder. Wenn ich mich aktiv, bewusst und voller Leidenschaft von selber in ein Projekt werfe, hat das eine andere Dynamik, als wenn ich irgendwo „a bissal mitmach“. Und genau darauf will ich hinaus. Wenn ich genau weiß, warum und wozu ich ein Projekt starte/mich daran beteilige, weiß ich auch genau, was ich damit bezwecken will und wie ich das gemeinsam mit Anderen angehen kann. Wenn ich einfach dabei bin, weil es sich so ergeben hat, dann weiß ich das nicht genau und bleibe abhängig von Anderen und von der vorherrschenden Dynamik. Ein Aufstand charakterisiert sich u.A. durch einen Bruch mit der Normalität, durch eine (zumindest temporäre) Öffnung des Handlungsspielraums und den Angriff gegen Autorität. Ebenso im „persönlichen“ Aufstand: die eigenen Grenzen werden überwunden, der Angriff setzt sich fort und ich breche in gewisser Weise mit dem routinierten Ablauf.

Ich würde mir wünschen, dass wir alle mehr darüber reflektieren, was wir wirklich in konkreten Projekten machen und ob es das ist, was wir wollen. Und uns gleichzeitig auch die (evtl. schmerzhafte) Frage stellen: Bin ich einfach dabei oder mache ich das aus Leidenschaft, stehe ich voll dahinter und weiß, was ich damit bewirken will? Und was sind die Konsequenzen? Ohne den persönlichen Aufstand einzelner Individuen kann es keinen generalisierten Aufstand geben.