Ein paar Gedanken zum 1. Mai in Österreich

Aufgrund besonderer Lebensumstände öffne ich am 1. Mai 2018 um 8 Uhr morgens die Augen. Ich schaue aus dem Fenster und denke mir, dass es wohl ein schöner, sonniger Tag wird. Einige Zeit später durchbricht das Geräusch von Blasmusik und Getrommel die Morgenstimmung. Es ist ein armseliger Haufen von ca. 200 SozialdemokratInnen, die auf der Straße vorbeiziehen. Einige Stunden später versammeln sich 120.000 Personen auf dem Rathausplatz um einer Rede von Noch-Bürgermeister Michael Häupl beizuwohnen. Es ist seine Abschiedsrede, bevor er am 24. September sein Amt an Michael Ludwig abgeben wird. Damit geht wohl eine sozialdemokratische Ära zu Ende, der Gestank eines verwesenden Reformismus eilte ihr schon vor geraumer Zeit voraus…

Während dessen feiert eine andere politische Partei den 1. Mai mit Bratwurst und Bier in einem Bierzelt in Linz/Urfahr und fühlt sich als die wahre Partei der Arbeiterklasse. So oder so ähnlich brüllt das zumindest ihr Parteiobmann Heinz-Christian Strache vom Rednerpult. Wieder andere ziehen in Form einer lustigen Parade mit einigen politischen Slogans auf den Segen der Technik vom Praterstern los. Eine Demonstration mit 800 Personen, an der sich verschiedene linke und linksradikale Gruppen und Personen beteiligen und die sich ‚Mayday Parade‘ nennt. Auch sie fühlen sich wohl mittlerweile als die wahren SozialdemokratInnen, zumindest aber als die VertreterInnen des sogenannten ‚Prekariats‘. So haben alle eine Form gefunden den 1. Mai zu feiern. Doch was ist der 1. Mai überhaupt? Warum gehen an diesem Tag so viele unterschiedliche politische Gruppen/Parteien/Personen auf die Straße und buhlen um die Sklaven der Lohnarbeit?

Der Ursprung des 1. Mai

Am 1. Mai 1886 wurde in den USA unter den ArbeiterInnen der Generalstreik ausgerufen. Ziel war die Durchsetzung des 8-Stunden-Tages. Um die vernichtende Ausbeutung ein Stück weit zu reduzieren. Bereits in den Jahren zuvor konfrontierte sich die Arbeiterbewegung in den USA immer wieder mit der Polizei, Staat, Unternehmern und Streikbrechern. Diverse Aufstandsversuche und Revolten haben diese Jahre geprägt. Diese Interventionen fanden nicht zuletzt durch die rege Beteiligung der Anarchisten statt. Sie waren eine treibende Kraft innerhalb der Bewegung. Der Streik wurde von Seite der Unternehmer mit Hilfe von Bullen, Streikbrechern und Söldnern bekämpft. Am 3. Mai wurden auf einer Massenveranstaltung nahe der Landmaschinenfabrik McCormick 4 Arbeiter von den Bullen erschossen. Deshalb versammelten sich am Tag darauf Tausende auf dem Haymarket in Chicago zu einer Protestkundgebung. Als die Polizei anrückte um die Veranstaltung anzugreifen, wurde aus der Menge eine Bombe in die Reihen der Bullen geworfen. Die Polizei eröffnete das Feuer und da viele Anarchisten bewaffnet waren erwiderten diese zum Teil die Schüsse. Dieses Ereignis ging als Haymarket Riot in die Geschichte ein. Auch wenn es eher so war, dass die Bullen dort ein Massaker veranstaltet hatten. In der Folge verhaftete die Polizei hunderte von ArbeiterInnen. Einigen bekannten Anarchisten wurde schließlich der Prozess gemacht. 5 von ihnen wurden zum Tode verurteilt, obwohl nachgewiesen war, dass keiner von ihnen die Bombe geworfen hatte. In den darauf folgenden Jahren entwickelte sich der 1. Mai zu einem ernst zu nehmenden internationalen Kampftag. Im Jahr 1890 dauerten die Versammlungen, Demonstrationen und Auseinandersetzungen zum Teil bis zum 8. Mai an. Soweit in aller Kürze zu den Ursprüngen des 1. Mai.

Der Abgrund der Geschichte

Das wird für viele, die noch nie etwas von diesen historischen Ursprüngen des 1. Mai gehört haben, irgendwie absurd klingen, aber es ist tatsächlich so passiert. Die SPÖ, die FPÖ und viele andere linke und rechte, demokratische und faschistische Gruppen, Parteien, Organisationen und Einzelpersonen ‚feiern‘ den 1. Mai. Mal mit kämpferischem Unterton, mal ganz entpolitisiert bei Bratwurst und Bier. Doch niemand sagt etwas darüber warum der 1. Mai eigentlich als Kampftag ausgerufen wurde. So wird der Tag mal als Tag der Arbeit, Tag der ArbeiterInnen oder Staatsfeiertag bezeichnet. Ein perfektes Beispiel von politischer Vereinnahmung und Geschichtsverfälschung. Alle schweigen sie die wirklichen Hintergründe tot, verschütten sie unter den Trümmern der Geschichte und stülpen ihre eigenen hohlen und inhaltslosen Phrasen von Nationalismus, Ausbeutung, Arbeitsfetisch, Reformismus und Technikglaube darüber.

Gegen die Arbeit – Gegen den Staat

Ich bin grundsätzlich gegen die Arbeit, weil ich gegen die kapitalistische Ausbeutung und alle anderen Formen der Ausbeutung bin, die es gegeben hat, die es gerade gibt und die es in Zukunft geben wird. Und deshalb weiß ich auch, dass ich, solange ich von der Lohnarbeit abhängig bin, niemals frei sein werde. Ob ich nun 8 Stunden oder nur 4 Stunden am Tag schuften muss. Denn so wird es auf der Mayday Parade gefordert: „Zwölf Stunden Freizeit – Acht Stunden Schlaf – vier Stunden Arbeit“ Und wie soll dieses Ziel realisiert werden? Mit Hilfe der Technologie natürlich! „Neue Zeiten – neuer Mut! Digitalisierung und Automatisierung bieten konkrete Chancen zur Entlastung und damit zur Verkürzung der Arbeitszeit. Warum sollten wir nicht alle vom technologischen Fortschritt profitieren?“ kann man auf dem Flyer weiter lesen. Wer wirklich denkt, dass die Technologie dafür gebraucht werden wird um die Arbeitszeit zu verkürzen hat grundlegende Vorgänge nicht verstanden. Die Technologisierung und Digitalisierung dient in erster Linie zur Kontrolle der Ausgebeuteten. Diese Werkzeuge wurden in einem Kontext von Ausbeutung und Unterdrückung geschaffen und können nicht einfach in eine freiheitliche Richtung umgedeutet werden. Die Technologie ist kein Instrument der Befreiung sondern der Kontrolle. Sie ist nicht dafür geschaffen die Arbeitszeit zu verkürzen, sondern um kapitalistisches Wachstum zu garantieren und profitorientierte Produktionsrealitäten zu schaffen. Und dadurch produziert die kapitalistische Maschine immer mehr Personen, die von den Privilegien und Profiten ausgeschlossen sind. Und dabei hilft euch auch die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht weiter. Eine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen hilft im Endeffekt der kapitalistischen Logik lediglich sich nachzujustieren und die Ausbeutungssverhälnisse für eine weitere Phase zu verschleiern und Konflikte zu befrieden.

Das Ende der Arbeiterzentralität

Die Zentralität des Arbeiters in Form einer Bewegung ist beendet. Es gibt weder ein Bewußtsein über die Klassenfrage, noch ist sie auf die selbe Weise real wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Die Zerstückelung der Lohnarbeitsverhältnisse und damit die Aufspaltung der Arbeiterklasse hat zu vollkommen neuen Produktionsrealitäten und damit auch zu neuen Lebensbedingungen geführt. Die alten Fabriken und Werkstätten sind ebenso verschwunden, wie die verbindende Klassenrealität der ArbeiterInnen. Die Technologie spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie trägt zu einer Individualisierung der Ausbeutung bei und damit zu einem Hemmschuh der Solidarisierung unter den Ausgebeuteten. Und es macht dabei auch keinen Unterschied, wenn nun nach dem verschwundenen Proletariat unter der Bezeichnung des ‚Prekariats‘ gesucht wird. Wir müssen unsere Kritik an neue Realitäten anpassen und nicht in Traditionalismus und Nostalgie verharren.

Mit Tradition und Routine brechen!

Auch wenn ich mich jedes Jahr wieder darüber aufrege, welche sinnentleerte Scheisse an diesem Tag so veranstaltet wird, so liegt mir eigentlich nur mehr sehr wenig an diesem Tag. Natürlich verteidige ich die anarchistischen Bezüge und weise auf die wahren historischen Implikationen hin. Aber es liegt mir nichts mehr daran um den 1. Mai zu kämpfen und seine zentrale Bedeutung zu unterstreichen. Ich weiß, dass die Dynamik, die dieser Tag an vielen Orten auf der Welt entfesseln kann, eine Möglichkeit bietet den kapitalistischen und kontrollierten Normalzustand und die tägliche Routine zu durchbrechen. Wie gesagt, ich denke, dass das an vielen Orten möglich ist. Worüber ich mir aber auch sicher bin, ist, dass der 1. Mai in Wien oder anderswo in Österreich nicht ausreichen wird um einen Bruch in die Fassade der Ausbeutung zu schlagen. Jeder Tag und jede Nacht kann dazu verwendet werden anzugreifen und das auf vielfältige Art und Weise. Jede Diskussion kann dafür verwendet werden, unsere Vorschläge von Aufstand und Revolution zu streuen. Also lasst die Idioten ruhig feiern. Wir sollten uns davon nicht beirren oder beeinflussen lassen und weiter unsere Kritik schärfen und uns auf jene Zeitpunkte vorbereiten, die wirklich fähig sind all die bösen Leidenschaften gegen die Autorität zu entfesseln! Gegen diejenigen die unsere Zukunft zerstören und uns einen Alltag voll von grauer Routine aufzwingen wollen. Gegen alle Feinde der Freiheit und alle falschen Kritiker der bestehenden Ordnung!

Ein Anarchist, am 1. Mai 2018