Über die Toleranz

Sie haben uns den Kopf verseucht mit dieser Geschichte von der Toleranz […] Falls wir für diese Freiheiten kämpfen sollten, bin ich nicht zu haben, denn diese Freiheiten sind die Freiheiten, die den Umfang des Gefängnisses zeichnen.“

Toleranz. Was für ein großes Wort. Es wird uns mittlerweile von den Kinderschuhen an eingebläut, dass wir tolerant sein sollen. Die lateinische Herleitung des Begriffs Toleranz gibt näheren Aufschluss über Sinn und Zweck der Toleranz (tolerare = ertragen, erleiden). Das macht Toleranz von seiner Bedeutungsherkunft zu einem durch und durch christlich-moralischen Wert. Und was wir von christlich-moralischen Werten, von religiösen Werten allgemein, halten, könnt ihr euch vorstellen.

Demokratie

Aber es geht mir hier weniger um die Begriffsherkunft des Wortes ‚Toleranz‘ sondern vielmehr um deren Gebrauch als politisches Instrument in der modernen kapitalistischen Demokratie. Denn Toleranz ist ein Konzept der Demokratie, es ist dafür da für eine bestimmte Form der Ordnung zu sorgen. Diese basiert auf unterschiedlichen Grundlagen, die mit der Entstehung, Entwicklung und der heutigen Herrschaftsform der modernen Demokratie zusammenhängen. Unterschiedliche Meinungen sollen in ein Verhältnis von Ausbeutung und Herrschaft integriert werden. Konflikte sollen entschärft und die kompromisslose Kritik unbrauchbar gemacht und delegitimiert werden. Die moderne Demokratie regiert durch Zustimmung und einer Haltung des Erleidens und Erduldens eines Lebens, das zwar nicht unsere Leidenschaften und Träume erfüllen kann, aber zumindest ein bestimmtes Maß an Komfort garantiert. Sie gewähren uns einige ‚Freiheiten‘, um die Verwirklichung der wirklichen und unkontrollierbaren Freiheit zu verhindern. Das ist die Logik der Demokratie.

Meinung

Meinungen werden jeden Tag produziert. In den Medien, von der Politik, in der Schule, der Universität, am Arbeitsplatz und an vielen anderen Orten. Meinungen werden konsumiert, sie liefern uns einfache Antworten auf die komplexen Fragen des Lebens. Sie sollen uns also helfen Entscheidungen zu treffen, damit wir nicht selbst nachdenken und vielleicht zu einem Punkt kommen, der fundamentale Züge der Herrschaft in Frage stellt. Wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, zwar vorgefertigt und zurechtgestutzt, so braucht es auch ein Instrument, das diese konkurrierenden Meinungen in einem legalistischen und befriedeten Rahmen hält. Dieses Instrument ist die Toleranz. Die Toleranz andere Meinungen zu akzeptieren. Jede Frage wird also zur bloß Meinung degradiert, die toleriert werden muss. Mittlerweile reden selbst die Faschisten davon, dass ihre Meinung in der heutigen demokratischen Realität doch bitte toleriert werden sollte. Die Meinung ist ein Ersatz für eine klare Ausdrucksweise und Konsequenz. Denn ich kann und darf alle möglichen Meinungen vertreten, solange ich keine Entscheidung treffe meine Überlegungen auch selbst in die Tat umzusetzen.

Freiheit

Die Toleranz und mit ihr die viel gepriesene freie Meinung sind reduzierte Formen von Freiheit. Sie sind das Minimum das die Herrschaft uns zugestehen muss, damit das Gefüge von Kontrolle und Ausbeutung intakt bleibt und der Schein der Mitbestimmung sich nicht vollkommen konterkariert. Es sind lediglich Abbilder von etwas, das uns jeden Tag als Freiheit verkauft wird. Ein Konstrukt von etwas, das wir immer mehr verlernen uns vorzustellen. Freiheit ist die Abwesenheit von Zwängen, mit allen Risiken und dem Verlust des demokratischen Komforts. Diese Freiheit will ich erkämpfen, ohne meine ethischen Ansprüche von Solidarität und freier Vereinbarung mit anderen über den Haufen zu werfen. Die kastrierten Freiheiten die uns jedoch die Herrschaft in ihrer demokratischen Form anbietet haben nichts damit zu tun. Es ist lediglich der Begriff geblieben, alles andere ist ausgehöhlt.

Ethik contra Toleranz

Langläufig wird Toleranz mit dem Verständnis gegenüber ‚Minderheiten‘ gleichgesetzt. Diese Form der Toleranz setzt natürlich eine Identität und eine Identifikation mit einer Nationalität und einem bestimmten Territorium, verbunden mit bestimmten Verhaltensregeln und Normen, voraus. Ich verfüge nicht über diese Identifikation, weil ich weiß, dass der Nationalismus und diese beschränkte Kulturzugehörigkeit lediglich Formen von Kontrolle und Spaltung sind. Ich lehne sie ab, weil ich sie als schädlich für jede Form von Selbstorganisierung und Befreiung halte und weil sie für die freie Entfaltung des Individuums ein Hindernis sind. Logischerweise halte ich deren glühende Befürworter für meine Feinde! Wenn ich sage, dass ich gegen dieses hohle austauschbare und beliebig aufhebbare Konzept von Toleranz bin, so bedeutet das nicht, dass ich keine ethischen Ansprüche habe, denn diese habe ich sehr wohl. Und sie haben eine wichtige Bedeutung für alle meine Entscheidungsfindungen, wie ich mich mit der Welt in der ich lebe konfrontiere und auseinandersetze. Die Toleranz ist eine Vernachlässigung einer wirklichen Positionierung und Konflikte auch auszutragen.

Ich verzichte auf die Toleranz. Ich fordere sie weder für mich ein, noch werde ich Autorität, Herrschaft und Ausbeutung tolerieren. Ich bin für die totale Intoleranz allen gegenüber die mein Leben versuchen in eine grau Masse von täglicher Routine zu verwandeln. Die nichts anderes machen, als uns jeden Tag den Tod zu verkaufen und uns einreden dies verlängere unser Leben.

Ich bin jeder Form von Herrschaft vollkommen intolerant gegenüber. Ich erwarte mir auch keine Zugeständnisse von ihnen. Deshalb hab ich mit der Demokratie nichts zu schaffen, denn sie hat ein neues Bild der Freiheit konstruiert. Einer Freiheit die nichts mehr mit wirklicher Freiheit zu tun hat. Es ist die Freiheit der Sicherheit, der Arbeit, des Konsums und der Routine. Es ist die Freiheit an ihrem System der Ausbeutung teilzuhaben. Sich damit zu identifizieren. Sie reden von Freiheit, doch dabei sind es sie mit ihrer nichtssagenden Freiheit, die jeden Tag den Umriss des Gefängnisses aufzeichnen und es Leben nennen…