Nationalgefühle

Ein Ass im Ärmel des Staates

In Kriegs- und Krisenzeiten sind Patriotismus und Nationalismus der Kitt, der das soziale Gefüge zusammenhält. Der Kitt, der dafür sorgt, dass auch in turbulenten Zeiten der Widerspruch zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Regierenden und Regierten bestehen bleibt. Und schließlich der Kitt, der dafür sorgt, dass meist junge Männer im Auftrag alter Männer andere junge Männer im Auftrag anderer alter Männer für eine Nation, für eine Flagge, für ein abgestecktes Territorium töten. Oder wie Friedrich Dürrenmatt es treffend formulierte: Wenn „der Staat sich darauf vorbereitet zu töten, nennt er sich Vaterland“. Dem füge ich hinzu: Wenn der Staat seine Untertanen vorbereitet Kürzungen, Überwachung und Militarisierung gefügig hinzunehmen, nennt er sich Heimat. Eine Heimat für die es aufzustehen gilt um sich am Altar der Entbehrungen zu opfern.

Seit ein paar Jahren jetzt werden wir zubombadiert mit dem „Rot-weiß-rot“, einem vermeintlich WIR, das „Österreich“ liebt. Das heißt Liebe für ein staatliches Territorium und die Werte der katholischen Kirche, ein Zweiergespann, das über Jahrhunderte Menschen ausgebeutet, verfolgt und geknechtet hat, zum Wohl einer kleinen profitierenden Minderheit. Ein Territorium mit schönen Landschaften, die sich fast alle parzelliert in den Händen weniger Besitzender finden. Ein Territorium, wo wir unsere Lebenszeit für Lohn verkaufen müssen, wo wir – egal wo wir uns bewegen – mit den Schergen des österreichischen Staates, Polizisten oder andere Beamte, konfrontiert sind. Wie könnten wir so töricht sein, dieses Territorium und seine Demagogen als Heimat zu bezeichnen.

Doch der beste Untertan war schon immer jener, der sein Joch liebt. Und damit sein Land, seinen Staat, seine Religion, seine Flagge – seine Nation.

Viele, die die falsche Auffassung vertreten, die Geschichte wäre eine geradlinige Entwicklung von der Barbarei hin zu immer fortschrittlicheren Zuständen, müssen sich heute wohl auf die Zunge beissen, wenn sie in ganz Europa die nationalen Gefühle wieder auferstehen sehen. Unsere Ansicht ist, dass der Nationalismus eine Karte des Staates ist, die er immer schon im Ärmel hatte und ausspielt, wenn es notwendig ist, seine Untertanen auf etwas hin zu mobilisieren. Momentan deutet vieles darauf hin, dass dieses „Etwas“, worauf der österreichische Staat, aber auch andere europäische Staaten sowie die EU hin mobilisieren, eine repressive Restrukturierung der bestehenden Ordnung ist.

Wir sagen deshalb, dass Freiheit nur über die Mauern des Nationalismus hinweg entstehen wird. Nämlich dann: Wenn die Ausgebeuteten mit ihrer Ausbeutung schluss machen und nicht wenn die Ausgebeuteten Schulter an Schulter mit ihren Ausbeutern die Nationalflagge schwenken. Lasst uns daran denken, wenn im Juni zur EM, Hunderte, mit Rot-weiß-rot verschmierten Gesichtern, grölend und Österreichflaggen schwenkend, durch die Straßen ziehen werden.