Zur Gewaltfrage

Diskussionsbeitrag

Wird das legitime staatliche Gewaltmonopol verletzt, wie bei der Demo am elften Juni, kommt sie auf: Die Gewaltfrage. Meist wird sie dann medial kurz gestreift, und alle, von links bis rechts, geben emsig ihren Senf dazu, verurteilen die Gewalt zutiefst oder distanzieren sich zumindest. So auch diesmal, mit der schönen Beigabe, dass auch jene, die ansonsten Freundinnen der Parole „Naziaufmarsch mit allen Mitteln verhindern“ sind, sich von der Gewalt distanzieren. Von der Gewalt, die dazu beigetragen hat, dass die Faschos nur gut 800 Meter gelaufen sind und sich einige von ihnen wohl gut überlegen werden, ob sie das noch ein- mal machen.

Wenn das Individuum zuschlägt ist es verachtenswerte Gewalt, wenn der Staat zuschlägt dann ist es Recht. Das ist der Grund wieso die Frage der Gewalt selbst eigentlich nie vertieft wird. Sie bleibt eine einfache Positionierungsfrage: JA oder NEIN, mit klar vorgezeichneten Rollen, jede gute Demokratin ruft Nein und wer Ja sagt ist entweder ein exzentrischer Philosoph – der den intelektuellen Hofnarren gibt – oder eine verrückte, kriminelle Person, die am besten im Gefängnis aufgehoben ist. Die Gewaltfrage selbst wird weder diskutiert noch vertieft.

Wir sind AnarchistInnen, wir wollen eine Welt souveräner Individuen, frei von der Herrschaft des Menschen über den Menschen und über die Natur. Eine Welt frei von Unterdrückung und Ausbeutung basiernd auf Solidarität, gemeinsamer Hilfe und freier Assoziation. Heißt das, dass wir Gewalt prinzipiell ablehnen? AnarchistInnen der gewaltfreien Schule würden das mit JA! beantworten, indem sie sich – auf den sehr wichtigen – anarchistischen Grundsatz „die Mittel müssen den Zielen entsprechen“ berufen. Denn sie meinen, an der Gewalt an sich die Herrschaft festmachen zu können.

Andere AnarchistInnen vertreten einen eher pragmatischen Ansatz. Diesen könnte man als Selbstverteidigungsthese bezeichnen. Dieser geht davon aus, dass Staat und Kapital, die sozialen Formen und Beziehungen mit denen wir konfrontiert sind, auf Gewalt basieren und der Kampf dagegen deshalb auch mit gewalttätigen Mitteln geführt werden muss. Vor allem weil sich eine friedlich Revoltion nicht vorgestellt werden kann – die Herrschenden werden nicht einfach freiwillig auf ihre Privilegien verzichten. Und somit, dass die Unterdrückte immer das Recht hat gegen die Unterdrücker in (gewalttätige) Rebellion zu treten.

Als eine dritte Auffassung kann noch der Gewaltfetischismus genannt werden. Den es unter RevolutionärInnen immer gibt und gab und der sich dadurch ausdrückt, dass die Gewalt fast schon religiös verehrt wird. Dass der Gewaltakt selbst zu einem Moment der Feuertaufe aufgeladen wird, die einen reinigt und neugebiert. Wieder andere verehr(t)en das Symbol der Waffe an sich so als wäre es ihr Kreuz. Und es ist diese religöse Verehrung der Gewalt, die sie von einem Mittel unter anderen zum einzigen Mittel erhebt und alle anderen disqualifiziert.

Ich teile keine dieser drei Auffassungen auch wenn ich jeder gewisse Aspekte abgewinnen kann. Wie ich oben geschrieben habe, kämpfen wir AnarchistInnen für eine Welt ohne Herrschaft in der souveräne Individuen in Solidarität und freier Assosiation leben. Doch was macht uns zum souveränen Indiviuum? Oder anders herum was hindert uns heute daran, souverän selbst über unser Leben zu bestimmen – mit all den damit verbundenen Verantwortlichkeiten und Konsequenzen?

Meine Antwort ist, dass uns unsere Entscheidungs-Gewalt entrissen wird. Dass uns von klein auf eingetrichtert wird, dass wir unsere Willen und unsere Bedürfnisse an andere delegieren sollen. Dass uns der zwischenmenschliche Konflikt abgenommen wird. Viel ist über die Natur „des Menschen“geschrieben worden, viel ist in „den Menschen“ hineinphantasiert worden.

Misanthropen, Philanthropen, der Mensch der sein Wolf und sein Gott sei etc… Das einzige das ich mir wirklich davon mitnehme ist, dass „der Mensch“ sich in unzählige Richtungen entwickeln kann. Und damit, gegensätzliche Vorstellungen, Bedürfnisse, Wünsche und gleichzeitig beschränkte Ressourcen und Raum, also unweigerlich Konflikt gegeben ist. Und dieser Konflikt wird uns entrissen, durch die Auferlegung von Herrschaft, durch die Bildung des Staats, der uns im Gegenzug zu seinen Rechtssubjekten degradiert. Wodurch wir unsere Entscheidungs-Gewalt verlieren und zu Bürgern domestiziert werden, die dem Gefühl beraubt zu sein, beraubt sind.

Sich die Entscheidungs-Gewalt über das eigne Leben anzueignen heißt für mich deshalb auch mir die Gewalt anzueignen gegen die Strukturen und Personen, die mir Herrschaft aufzwingen und aufzwingen wollen. Um diese aus meinem Leben zu verbannen.

Deshalb will ich „Gewalt“ an sich nicht aus meinem Leben verbannen. Genauso wie Gewalt für mich ein Mittel ist das meinen Zielen entspricht – Anarchie zu leben: niemanden zu regieren/beherrschen und mich nicht regieren/beherrschen zu lassen. Und auch wenn jemals mit der institutionalisierten Ausbeutung und Herrschaft schluss gemachtwerden sollte, werden Konflikte bestehen bleiben, wird es wieder Individuen geben, die Herrschaft auferlegen wollen und deshalb werde ich meine Entscheidungs-Gewalt nicht aufgeben – wobei ich behutsam darauf achten werde sie nicht in einen Fetisch zu verwandeln. Was ich hingegen aus meinem Leben verbannen will, ist die kulturell institutionalisierte Gewalt der Zivilisation. Also die von Staat und Kapital. Diese institutionalisierte Gewalt ist teils offen und roh, teils verschleiert und ausgelagert, zb. an Polizei, Militär, Gericht und Knast. Und selbst wenn die bestehende Ordnung und die damit verbundenen Konsequenzen nicht unser aller Lebensgrundlage bedrohen würden, sondern ökologisch, nachhaltig unseren Bedrüfnissen gerecht würden, reicht für mich die Tatsache beherrscht zu werden um zu revoltieren. Denn es geht mir nicht darum aus der Position eines Opfers der Umstände Legitimation für mein Handeln abzuleiten, sondern aus meinem Verlangen mein Leben selbstbestimmt und frei zu leben.

Ich hoffe, dass es klar ist, dass dieser Text nur ein Schritt in einer Diskussion über die Problematik der Gewalt sein kann. Viele Aspkete werden nicht beleuchtet oder nur gestreift, möglicherweiße sogar umgangen, vielleicht kann er trotzdem Anstoß zu einer Diskussion sein, die über JA oder NEIN hinausgeht.