Ausnahmezustände – das neue Normal

Am Westbahnhof blickst du einem Polizisten mit Steyer-Aug Sturmgewehr in den Lauf, das neue Normal. Und wie ein Kind, das Angst vor dem Monster unter dem Bett hat, wissen wir nicht, was auf uns zukommt. Die Zeitungsmeldungen überschlagen sich: Krise, Flüchtlinge, Terror, Krieg. Währenddessen verwandelt sich ganz Europa in ein Gefängnis.

Nach dem Massaker von Paris ging es Schlag auf Schlag: Aushebelung von Menschenrechten, Ausnahmezustand und Militär auf den Straßen. Andere, wenn nicht alle europäischen Länder ziehen mit und bauen Sicherheit und Überwachung enorm aus. Entwicklungen, die weder überraschend noch neu sind. Sie lediglich als Antwort auf die Angriffe von IS-Kämpfern zu verstehen, wäre gefährlich, weil es uns denn Blick versperrt.

Man erntet was man sät, sagt ein altes Sprichwort. Der Kampf der Weltmächte um geopolitischen Einfluss, um Zugang zu den immer knapper werdenden Ressourcen und die Destabilisierung des Iraks schufen den IS. Jedoch sind der Irak und Syrien nur einer von vielen Herden, an denen der Konflikt lodert. Die Ukraine, Afrika, Nahost und der Wandel des Klimas sorgen für eine ungewisse Zukunft. Und während die Reichen noch mehr Reichtum ernten, ernten wir alle den Mistkübel, zu dem der Planet Erde gemacht wurde. Die Staaten wissen das und sie wissen auch, dass die Ära, in der sich die Herrschenden einen Sozialstaat leisten konnten und wollten, um die Armen und Ausgebeuteten befriedet zu halten, ein Ablaufdatum hat.

Wir finden uns in einer immer explosiveren Situation wieder, einer Situation am Scheidepunkt: (Bürger-) Krieg, Faschismus, ökologischer Kollaps – oder Aufstand und Revolution. Wie es auch kommt, die Staaten wissen: Es wird knallen. Das ist der Grund wieso in ganz Europa das repressive Arsenal erweitert und ausgebaut wird. Wieso neue Gefängnisse europaweit wie Pilze aus dem Boden sprießen. Wieso so viele Augen auf uns gerichtet sind, dass man Straßen ohne Kameras fast schon suchen muss. Einher geht das mit immer mehr Polizei und anderen Uniformen, und in Frankreich oder Belgien eben auch schon mit Militär in den Straßen. Wir sollen uns daran gewöhnen, das ist das neue Normal der Herrschaft.

Der Antiterrorismus – eine Wunderwaffe

Im Krieg wird der Feind als das absolut Böse gezeichnet. Vollbärtig, unzivilisiert, irre Schlächter – das sind Terroristen. Auf der anderen Seite – Wir – das gute, demokratische Europa, vereint unter dem Schlachtruf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! So wollen sie uns das verkaufen und wir sollen es einfach schlucken. Dabei kann schon lange beobachtet werden, dass immer mehr Feinde des Staates im In- und Ausland eben als „Terroristen“ gestempelt werden. Und gegen diese ist bekanntlich jedes Mittel recht.

Ist der Klassenkampf schwach und sind die sozialen Spannungen niedrig, kann sich der Staat Kritik leisten. So wurde in den letzten Jahrzehnten die Opposition einerseits als Schaustück der Toleranz der Herrschenden gedultet. Und andererseits als Ventil, denn solange Kritik eine „Meinung“ bleibt, wird sie dem Staat nicht gefährlich. Werden die Zeiten härter – ruft der Staat zur Mobilmachung – müssen alle spuren. Wer das nicht tut, wird an die Ränder gedrückt.

Ein Bild aus der Zukunft hierfür liefert wieder Frankreich. Der Ausnahmezustand, angeblich eingeführt um Islamisten zu bekämpfen, wurde auch genutzt, um sämtliche Versammlungen gegen den COP 21, sowohl in Paris wie auch in anderen Städten zu verbieten. Unzählige Hausarreste gegen potentiell gefährliche Personen zu verhängen. Besetzte Häuser von der Antiterror-Polizei zu räumen. Und schließlich jene, die sich diesen Verboten nicht unterwarfen und in Paris die Straßen nahmen, zu knüppeln und mit Tränengas einzunebeln.

Künftig darf damit gerechnet werden, dass Akte der Verweigerung, der Sabotage und der Revolte zu Terrorismus verklärt werden. Dass sie viel stärker bestraft und verfolgt werden. Und dass jene, die die bestehende Ordnung in Frage stellen, sabotieren und gegen sie revoltieren noch stärker dämonisiert werden, im Versuch sie zu isolieren – natürlich alles im Namen der Sicherheit.

Wessen Sicherheit? Die Sicherheit der Herrschenden!

Die Sicherheit, die vom Staat und seinen Aposteln hochgehalten wird, ist die des sozialen Friedens. Die Sicherheit, dass die Ausgebeuteten nicht revoltieren und sie die soziale Ordnung – die Herrschaft des Menschen über den Menschen – stillschweigend hinnehmen.

In Österreich und der westlichen Welt beruht der soziale Friede wesentlich darauf, den Ausgebeuteten zumindest Krümel vom Kuchen des produzierten Wohlstandes zu überlassen. Wird dieser Burgfrieden bedroht, aufgrund einer Zunahme des Klassenkampfes oder externer Unsicherheit, zeigt der Staat – der wir angeblich alle sind – seine repressive Fratze.

Gefährder“ ist das Wort, das die Staatsdiener in Umlauf bringen. Eine gleichnamige Datenbank soll mit dem neuen Sicherheitspolizeigesetz, das noch im Jänner beschlossen werden soll, eingeführt werden. Diese Datenbank schert alle über einen Kamm, die der sozialen Ordnung gefährlich werden könnten. Darin wird von der sexuellen Orientierung über die gesamten Reisebewegungen, die Kommunikation, Beschäftigung, Religion alles für sechs Jahre gespeichert.

Zeit zu desertieren!

Wenn IS-Kämpfer Massaker anrichten, wie das in Paris, dann handeln sie in der Logik des Soldaten. Des Soldaten, der für sein Land, für seine Flagge, für seine Nation in die Menge schlägt und unter der Bevölkerung des Feindes unterschiedslos Terror verbreitet. Der auf Befehl tötet, in blindem Gehorsam. Wieso es uns trifft, wenn das in Paris passiert? Weil es in Paris passiert, in Europa und nicht Kabul oder sonst wo im nahen Osten.

In Europa werden die Kriegstrommeln geschlagen. Wir schlagen deshalb vor, wie das anarchistische Gefährten in Frankreich und Belgien getan haben, uns die Ethik des Deserteurs anzueignen. Und uns nicht in den Krieg, den die Herrscher Europas dabei sind vom Zaun zu brechen, den Krieg „Zivilisation“ gegen „Barbarei“, hineinziehen zu lassen und ihn aktiv zu sabotieren. Dieser Krieg wird in Syrien aber auch an der Heimatfront geführt werden. Er wird eine andauernde Besetzung, Gleichschaltung und Militarisierung unseres Alltags nach sich ziehen.