Wenn die Gipfel rufen

Versuch einer Einschätzung und Anstoß zur Diskussion

Der folgende Text wurde uns mit der Bitte um Veröffentlichung übermittelt. Gerne kommen wir dieser Bitte nach, wo die folgenden Zeilen doch einige wichtige Fragen aufwerfen und Überlegungen anstellt, die auch über die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs hinausgehen. Die Entwicklung einer kontinuierlichen Spannung gegen die Herrschaft, nicht nur im Bezug auf die aktuelle Regierung sondern gegen jede Regierung und Form der Fremdbestimmung, scheint uns in Österreich bitter nötig zu sein. Vielleicht sind diese Zeilen ein Anstoß längst überfällige Debatten zu führen und unsere Kritik an Herrschaft, Kontrolle, Ausbeutung und Befriedung zu schärfen.

Mit 1. Juli tritt der österreichische Staat den EU-Ratsvorsitz an. Für ein halbes Jahr dürfen dann Basti, StraChe und Amigos den Diskussionstakt in der EU vorgeben. “Sicherheit” und “Migration”, also Überwachung, Beherrschung und die Verwaltung bzw. die “konzentrierte” Verwahrung der Unerwünschten werden den österreichischen Ratsvorsitz dominieren.

Der Kurs der schwarz-blauen Regierung wird sich in der EU fortsetzen, wo sie auf viele weitere verständnisvolle Autoritäre (Seehofer, Orban, …) treffen werden, mit denen sie gemeinsam am Freiluftgefängnis herumtüfteln werden, zu dem der europäische Kontinent nach und nach umgebaut wird.

Die Gesetzesverschärfungen, Kürzungen und Einschränkungen, die von der schwarz-blauen Regierung in Windeseile durchgesetzt werden, belegen die alte anarchistische Weisheit, dass das was uns in der Demokratie als Freiheit verkauft wird, einzig und allein Zugeständnisse sind, die uns von den Herrschenden jeder Zeit wieder genommen werden können, wenn der Klassenkampf abflaut oder erstarrt. Ich stelle mir die Frage und die eine oder andere werte Leserin dieser Zeitung hoffentlich auch, was gegen diese Regierung getan werden kann.

Zwei “Sicherheitskonferenzen”

Zwei konkrete Möglichkeiten tun sich da noch dieses Jahr auf. Im Rahmen des Vorsitzes wird es in Österreich verschiedene formelle und informelle EU-Treffen geben. So auch vom 11. bis zum 13. Juli in Innsbruck und am 20. und 21. September in Salzburg. Bei beiden wird es darum gehen, wie die Herrschenden in Europa weiterhin ihre Herrschaft absichern können. Gegen beide ist Widerstand angekündigt.

Was kann von den Treffen erwartet werden? Könnten sie Möglichkeiten der Revolte und des Tumults sein? Können sie den Widerstand gegen Schwarzblau entfachen? Bieten sie die Chance anarchistische Kritik an Politik, Herrschaft, Überwachung und am Regiert-werden im Allgemeinen theoretisch und praktisch zu verbreiten?

Ich werde mich hier kurz auf Salzburg fokussieren, weil noch länger Zeit ist, um sich darauf vorzubereiten. Einige Überlegungen sind jedoch auch auf Innsbruck anwendbar.

Was will man davon?

Verschiedene Initiativen mobilsieren bereits für “S20” [weil 20. September], gegen den Gipfel der Herrschaft – sowohl vor Ort in Salzburg als auch von Wien aus. So gibt es eine Mobilisierung der “Plattform Radikale Linke”, einen Aufruf von „aufbruch“, die sich der Demo der Radikalen Linken anschließen, und einen lokalen Aufruf.

Was aus dem Protest wird, hängt wahrscheinlich viel davon ab, was die Leute davon wollen. Meiner Einschätzung nach strebt die Radikale Linke in erster Linie eine ästhetische Begleitung des Gipfels an. Einen „kämpferischen Block“, der medienwirksam durch Salzburg marschiert, Parolen skandiert und schöne „radikale“ Bilder für den Twitterstream und die Facebook-Timeline produziert.

Ist das alles? Bzw. wird so ein inszenierter „Kraftbeweis“ überhaupt durchsetzbar sein? Was darf man erwarten bzw. auf was muss man sich einstellen?

Was ist zu erwarten?

Salzburg hat Gipfelerfahrung und Erfahrung mit Gegenprotesten. So fand von 1996-2002 der WEF-Gipfel [das World Economic Forum] in Salzburg statt, das 2001 und 2002 von Protesten begleitet wurde. Außerdem gab es noch Proteste gegen den Gipfel der EU-Außenminister 2006. Zu all diesen Gipfeln gab es Mobilisierungen, Demos, viel Polizeiaufgebot und teilweise kleine Ausschreitungen und direkte Aktionen.

Aufgrund dieser Geschichte und anderen Episoden aus der jüngeren Vergangenheit, versuche ich hier drei mögliche Szenarien abzuzeichnen.

Salzburg ist eine alte Stadt mit Geschichte. Drauf beruht der Tourismus, der jährlich Millionen an Euros in die Kassen der Wohlhabenden spült. Wie alte Städte das so an sich haben, hat Salzburg viele enge Gassen und überschaubare Plätze, die sich sehr gut für Polizeikessel eignen. Was sowohl bei IWF 2001 und IWF 2002 von den Bullen eingesetzt wurde. Ein denkbares Szenario ist, dass die Bullen die ganze Stadt unter Beschlag nehmen und alles dominieren (über 3000 Bullen sollen es bei den WEF-Gipfel gewesen sein). Wenn Demos erlaubt werden, dann im Wanderkessel von Anfang bis Ende und wenn die Lage eskalieren sollte, ist davon auszugehen, dass es sehr lange stationäre Kessel geben wird (7 Stunden beim WEF-Gipfel 2001).

Ein zweites Szenario ist, dass die Bullen die Demo einfach laufen lassen, wie sie es zum Beispiel bei der „Enough is Enough“-Demo 2011 gemacht haben, wo es einen schwarzen Block mit gut 300+ Leuten gab, aus dem komplett unbehelligt Böller und Bengalen gezündet wurden. Ein Vorteil für die Bullen wäre bei dieser Variante, dass sie, sollte die Lage eskalieren, jede Verantwortung auf die Protestierenden schieben können. Bzw. ist anzunehmen, dass viele Teilnehmerinnen Probleme hätten, Krawall für sich zu rechtfertigen, wenn es davor keine Bullengewalt gibt.

Eine dritte Variante ist, dass Demos überhaupt verboten werden. Sollte das eintreten, muss man sich überhaupt überlegen, was tun und wie. Eine Möglichkeit damit umzugehen wäre, sich schon jetzt Gedanken zu dezentralen Konzepten der Intervention zu machen.

Ebenfalls muss sich darauf eingestellt werden, dass die Regierung des österreichischen Staates den Umgang mit dem Protest von Anfang an als Propagandaveranstaltung nutzen wird. So ist denkbar, dass wie 2014 beim WKR-Ball Busse aus z.b. Deutschland in das Fußballstadion von Red Bull Salzburg gelenkt werden und die Leute dort durchsucht und vorübergehend festgehalten werden oder dass sie wie 2015 mit Polizeieskorte an die Grenze des deutschen Staates zurückbegleitet werden und die Leute Salzburg gar nicht erst erreichen – sehet wir schützen unsere Grenzen.

Zusätzlich muss mitgedacht werden, dass es in Österreich selbst wenig Erfahrung mit Krawallen oder kämpferischen Auseinandersetzungen mit den Bullen gibt, die über bloßes Geplänkel hinausgehen und, dass vieles, was aus dem Szenesumpf kommt, verbalradikales Posieren ist, hinter dem sich wenig verbirgt.

Weiter, dass das gesellschaftliche Klima in Österreich momentan sehr reaktionär ist und die Frage offen bleibt, ob und wie viele Leute sich in Salzburg in den Protesten wiederfinden, auf die die Herrschaftspolitik zwar genauso abzielt, die aber nicht aus dem Szenesumpf kommen. Oder ob sich nicht viele freuen, dass jetzt endlich mit „die Flüchtling“ und „die Asozialen“ aufgeräumt wird.

Fragen, die sich aufdrängen.

Die erste Frage, die sich mir deshalb aufdrängt ist, wie kann eine Agitation aussehen? Eine Agitation, die nicht mit den Gipfel-Terminen endet, die die Sicherheit und Kontrolle der Herrschenden entlarvt und die nicht im Szenesumpf stecken bleibt. Eine Agitation, die klar und verständlich versucht im sozialen Gefüge aufzudecken, dass alle, die nicht zu den Profitierenden des Status Quo zählen, viele Gründe haben gegen diesen zu revoltieren.

Wie können die lokalen Widerstände von außerhalb unterstützt werden? Davor und danach. Wie kann die Stimmung angeheizt werden? Was ist nötig und möglich, um den Herrschenden wirklich in die Suppe zu spucken? Und was ist nötig und möglich, um sich auf die Repression vorzubereiten, die unweigerlich damit einhergeht, wenn man versucht den Herrschenden einen Strich durch die Rechnung zu machen?

Und zu guter Letzt: Sind die Demos der richtige Ort, um eine Konfrontation mit der bestehenden Ordnung zu suchen oder tanzt man nur nach dem Terminkalender der Herrschenden? Und versucht da zu intervenieren, wo sie am besten aufgestellt und am besten vorbereitet sind? Welche Spielräume könnte es eventuell in Innsbruck und in Salzburg geben, bzw. können von uns geschaffen werden, um die vorgeschriebenen Drehbücher der Sicherheitskräfte und der Bewegungsmanagerinnen verlassen?

Was denken Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Innsbruck oder Salzburg darüber? Ich würde mich auf Antworten freuen. Vielleicht kann so eine Diskussion entstehen, die Bestrebungen, die auf einen revolutionären Bruch abzielen stärkt und vertieft und die uns alle voranbringt, auch in den beschissenen Zeiten, mit denen wir konfrontiert sind.