Improvisieren…

Viele meinen ja, dass wir AnarchistInnen zuallererst einmal unsere Theorie aufstellen müssten, die durch das „Feuer“ der Diskussion gehen müsse und erst dann, nachdem man sich zum Teil jahrelang im eigenen Kreise gedreht hat, nachdem ein „Schlachtplan“ erstellt wurde, mit dieser Theorie zur Tat (also zur Praxis) schreiten könnten. Ich bin da ganz anderer Meinung.

Selbstverständlich basieren unsere Überlegungen, unsere Taten und unsere Angriffe auf diese Welt des Elends auf unseren Ideen und Theorien. Aber ebenso verhält es sich auch mit dem, was allgemein als Praxis bezeichnet wird: bloße theoretische Überlegung, Zeitschriften und Bücher, Diskussionen und Auseinandersetzungen sind vollkommen wertlos, wenn sie es nicht schaffen in den gesellschaftlichen Kitt auf subversive Art und Weise einzugreifen – mit der Intention diesen Kitt und diese Mauer weiter zu zerbröckeln und so ins Wanken zu bringen. Das heißt nun aber nicht, dass wir erst dann zum Angriff übergehen können, wenn wir das WARUM und WIE verstanden haben. Da sich diese Fragen mit den sich verändernden gesellschaftlichen Umständen ebenso ändern, würde dies einem Hinterherlaufen gleichkommen und man könnte nie angreifen, weil man mit dem Analysieren und Begreifen nie fertig würde. Damit will ich nicht sagen, dass die Analyse und das Verständnis dieser Gesellschaft unwichtig wären, ganz im Gegenteil: das ist einer der Gründe, warum ich mich an dieser Zeitschrift hier beteilige. Und dennoch: der Angriff ist jederzeit möglich (auch mit einem Minimum an Analyse) und kann jederzeit auch ein unvorhersehbares Ausmaß annehmen…

Anstatt sich also auf Theorien und Diskussionen auszuruhen (oder diese immer weiter zu perfektionieren) und dann (irgendwann) zur Tat zu schreiten, wollen wir jederzeit subversiv in unserem Sinne wirken, d.h. immer mehr Brüche im verlogenen Wertesystem dieser Gesellschaft aufreißen, um zu einem Punkt zu kommen, an dem es kein Zurück zur verhassten, alten Gesellschaft mehr gibt. Und um uns wieder Zeit und Raum anzueignen, damit wir mit unseren Ideen der Freiheit experimentieren und diese auch weiterentwickeln können.

Die Krawalle, Aufstände und Revolutionen der letzten Jahre haben uns eines unmissverständlich gezeigt: sie verlaufen nicht linear, nicht vorhersehbar. Oft entstehen sie durch plötzliche Explosionen der Wut, die in ihrer weiteren Perspektive oftmals sehr beschränkt sind. Soll heißen: wir können uns natürlich einen „Schlachtplan“ überlegen und zurechtlegen, wenn wir aber versuchen, diesen genau so umzusetzen, werden wir zwangsläufig auf eine Enttäuschung treffen. Es läuft nie nach dem ersten großen Plan ab.

Unsere grundsätzlichen Überzeugungen und Prinzipien sind wichtig, keine Frage. Dennoch müssen wir die Fähigkeit entwickeln, zu improvisieren. Auf eine unvorhergesehene Situation kann man nicht mit einem „5-Jahres-Plan“ (re-)agieren und wenn man das tut, ignoriert man aktuelle Entwicklungen und Perspektiven und versucht nur stur, das eigene Programm durchzudrücken. Viele der Ideen, die aus den anarchistischen Bewegungen der letzten hundert Jahre hervorgingen, sind sicher „veraltet“, bzw. nicht mehr auf die aktuellen Situationen umzulegen.

Versteht mich nicht falsch, ich finde es unersetzlich, dass wir unsere Perspektiven und Utopien weiter träumen und weiter vorantreiben. Auch will ich hiermit keine Absage an langfristige Projekte stellen, ganz im Gegenteil: eine verbindliche, verlässliche Organisierung zwischen uns und anderen Unterdrückten ist unerlässlich.

Am Anfang jeder Veränderung steht immer ein Traum.

Was wir aber mindestens ebenso dringend brauchen wie unsere Träume, ist die Fähigkeit zum spontanen Handeln, zum Improvisieren, wenn es mal nicht nach Plan läuft (und das passiert leider allzu häufig).

Ich denke, dass es für die subversive Praxis sehr bereichernd sein kann, wenn wir uns auf diese Spontanität einlassen und sie uns zu eigen machen. Beispielsweise ist die Zeit der großen Massenaufmärsche in Österreich (und darüber hinaus) weitestgehend vorbei. Anstatt sich also monatelang auf eine große Demonstration vorzubereiten, ist es wesentlich interessanter, wenn wir zu Wenigen spontan auf bestimmte Veränderungen reagieren können, bzw. diese zu unserem Vorteil ausnutzen können. Die Konfrontation mit der Macht, wie wir sie anstreben, ist keine Konfrontation auf dem Schlachtfeld der Militärs, keine zahlenmäßig Gegenüberstellung von Waffen und SoldatInnen, sondern eine konstante Spannung und eine anti-autoritäre Rebellion gegen jede Autorität. Und oftmals eröffnen sich spontan Situationen, in denen eine banal scheinende Geste eine größere Revolte auslösen kann, als wir es je für möglich gehalten hätten. Lassen wir uns also nicht auf das vom Gegner abgesteckte Spielfeld ein. Lasst uns das Spielfeld ohne Dialog mit dem Gegner verlassen und lasst uns verdammt nochmal unser eigenes Spiel spielen!