Ein Putschversuch und seine Folgen

18In der Nacht auf den 16. Juni kam es in der Türkei zu einem Putschversuch durch Teile des Militärs. Das Polizeihauptquartier, die Geheimdienstzentrale und das Parlament wurden mit Militärflugzeugen angegriffen. Auch der Atatürk­Flughafen in Istanbul wurde kurzzeitig besetzt. Über den staatlichen Fernsehsender wurde eine Erklärung der Putschisten verlesen laut welcher das Militär die Regierung übernommen habe. Es wurde eine Ausgangssperre verhängt und Militär an vielen zentralen Plätzen stationiert. Doch alles in allem wirkte der Putsch sehr dilettantisch organisiert. Er erfuhr keine Unterstützung durch die Opposition, es ist nach wie vor unklar wer dahinter steckt. Es gelang den Putschisten nicht, wichtige Führungspersonen des AKP­-Regimes in ihre Gewalt zu bringen, und der Möchtegern­Sultan Erdogan selbst war zur Zeit des Putsches im Urlaub in Mamaris, kurz nachdem er von dort abflog wurde sein Hotel angegriffen. Aus sicherer Position richtete er die Worte an das türkische Volk. Ebenso wurden über sämtliche Medien und die Minarette der Moscheen, oftmals unter islamistischen Losungen, dazu aufgerufen gegen die Ausgangssperre auf die Straße zu gehen. Dem folgten vor allem fanatisierte Anhänger des AKP­Regimes, islamistische und faschistische Gruppen, die unter nationalistischen Parolen, scheinheiligen Verteidigungen der Demokratie und „Allahu Akbar“­Rufen durch die Straßen zogen und Jagd auf ihre Gegner machten. Es kam nur vereinzelt zu Gefechten zwischen Polizei und Militär, meist ergaben sich die Soldaten ohne Schüsse abzugeben. Oft wurden diese von türkeifahnenschwenkenden Bürgern umzingelt, die einige lynchten und folterten. So schwach wie der Putsch organisiert war liegt die Vermutung nahe, dass entweder einige Elemente des Militärs kniffen oder dass die Regierung bereits von dem Vorhaben unterrichtet war und Maßnahmen getroffen hatte. Doch dies bleibt Spekulation. Fakt ist jedoch, dass nichts dem Despoten Erdogan gelegener kommen hätte können als ein gescheiterter Putsch, den er selbst „einen Segen Gottes“ nannte.

Die Antwort auf den Putsch folgte rasant. Eine Nachricht folgt auf die andere, die Ereignisse überschlagen sich und es ist schwer den Überblick zu behalten. Im ganzen Land wurde der Ausnahmezustand verhängt – er ermöglicht das Regieren per Dekret, die massive Einschränkung der Rechte der Bürger, Verhängung von Ausgangssperren, Zensur der Presse, … – und es folgten tausende Verhaftungen und Suspendierungen. Auch die Einführung der Todesstrafe wird immer wieder gefordert. Die Richtung ist klar und auch was Erdogan unter diesem „Segen Gottes“ versteht: er hat nun die Möglichkeit den gesamten Staat von seinen Gegnern zu säubern, nur die zu ihm loyal stehenden Elemente zu belassen – von der Militär und Polizei, über Justiz und Bildung. Weiters wurden über weite Teile der Beamten und Akademiker Ausreiseverbote verhängt. Was dann von der Demokratie, als deren Verteidiger sich Erdogan inszeniert, übrigbleibt, liegt auf der Hand: ein Schein. Doch der Schein der Demokratie wird zu Zwecken der Propaganda und der Verblendung der Bevölkerung weiter aufrechterhalten und inszeniert. Denn nach jahrelanger Bombardierung mit demokratischer Propaganda hat sich im Hirn der Ausgebeuteten tief der Irrglaube festgesetzt, dass die Demokratie das ultimative „Gute“ sei. So wird dieser demokratische Kadaver zu propagandistischen Zwecken wohl weiter am Leben erhalten werden. Wie auch immer, wir als Anarchisten – Feinde jeglicher Herrschaft – werden hier bestimmt um die Demokratie trauern, unser Ziel bleibt die Beseitigung jeder Form der Herrschaft, ob Diktatur oder Demokratie.

Durch die Verhinderung des Putsches wurde ein Mythos geschaffen – der des Volkes, das sich loyal hinter seinen Führer stellt, bereit für ihn das eigene Leben zu lassen. Seit dem gescheiterten Putsch vergeht kein Tag ohne Massendemonstrationen, die durch Meere türkischer Nationalfahnen, große Portraits des Demokratieretters Erdogan und Forderungen nach der Liquidierung der Feinde gekennzeichnet sind. Tatsächlich schafft es Erdogan im Sinne der Logik „eine starke Türkei, ein starker Führer“ sehr viele Menschen hinter sich zu versammeln. Das verbindende Element dabei ist der extreme Nationalismus und der Glaube an einen starken Mann im Staat. Erdogan ist es gelungen einen Personenkult aufzubauen. So manches Transparent attestiert ihm Gottgleichheit, oder trägt gar Aufschriften wie „Befiehl uns zu sterben und wir werden es tun“. Mittlerweile werden die eigenen Anhänger gezielt versammelt und gegen den Feind mobilisiert und dazu ermutigt selbst aktiv zu werden. Es häufen sich die Angriffe durch Faschisten. Die Türkei steuert auf düstere Zeiten zu, und revolutionäre Angriffe und Gegenschläge blieben bisher aus…

Dass sich Europa neutral ver halten wird steht außer Frage, viel zu wichtig ist die Türkei als Bastion gegen die Flüchtlinge. Dafür wird auch der offene Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden im Osten des Landes kommentarlos hingenommen. Vielleicht wird die Situation genutzt werden um ein neues absolutes Übel – Erdogan und das AKP­Regime – zu zeichnen, aber nur um das eigene demokratische Regime, als freiheitsgarantierende Instanz, zu inszenieren.

Doch die Auswirkungen und Nachwehen des Putschversuchs sind nicht nur in der Türkei zu spüren. Auch in Österreich und Deutschland demonstrieren tausende AKP­Treue. Eine Gruppe Wiener Linker (Neue Linkswende) war sich nicht zu blöd zu versuchen dies für die eigenen Ziele zu nutzen. Gemeinsam mit Faschisten und Islamisten zogen sie die Mariahilferstraße hinunter. Im Rahmen dieser „Jubeldemo für die Demokratie“, wie die Neue Linkswende später schreiben sollte, wurde auch ein kurdisches Lokal angegriffen und die Rufe nach internationaler Solidarität gingen im „Allahu Akbar“­Geschrei unter.

Dabei sticht auch die UETD, die Auslandsorganisation der AKP, besonders hervor, die sowohl zu dieser Demonstration mobilisierte, als auch vor dem Putsch schon regelmäßig Demonstrationen organisiert hat, von denen ausgehend türkische Nationalisten versucht haben kurdische (Vereins-) Lokale anzugreifen.

Für uns heißt das, dass wir uns überlegen werden müssen wie wir Freiheitsbestrebungen in der Türkei unterstützen und besser die türkischen Faschisten und Islamisten im österreichischen Territorium bekämpfen können. Wie wir unsere Kritik und Feindschaft, sowohl gegenüber säkularen Demokratien als auch religiösen Diktaturen, in Wort und Tat verbreiten können. Dafür zu sorgen, dass die türkischen Faschisten sich hier nicht in Ruhe ausbreiten können und auch jenen kräftig in die Suppe zu spucken, die sie unterstützen und mit ihnen Geschäfte machen, wäre ein Ansatz für eine praktische Solidarität mit den Kämpfenden in der Türkei.