Beitrag zum Artikel „Über die Toleranz“ (Ausgabe Nummer 30, Juni 2018)

Nun finde ich ja viele Dinge, die in diesem Artikel stehen, richtig: Autorität, Herrschaft und Ausbeutung sind nicht zu tolerieren! Toleranz führt in diesen Verhältnissen zur Gewährleistung von Routine, Sicherheit, Arbeit und Konsum, aber keineswegs zu Freiheit! Toleranz ist ein schwammiger Begriff, der davon abhält sich positionieren zu müssen und Konflikte auszutragen. Jeder Form von Herrschaft gegenüber intolerant zu sein ist eine Notwendigkeit, um sich von der ganzen Scheiße zu befreien!

Die Intoleranz gegenüber den Verhältnissen beinhaltet aber nicht nur den Kampf gegen Regierungen, Politiker*innen, Konzerne etc. sondern auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, die von diesen Verhältnissen Tag für Tag beeinflusst sind. Ich greife das auf, weil solche Themen in dieser Zeitung leider nicht behandelt werden, es aber ein wichtiger Bestandteil einer widerständigen Praxis und unserer Leben ist. In engen zwischenmenschlichen Beziehungen, sprich Freund*innenschaften, Partner*innenschaften, Kompliz*innenschaften,… reicht ein „Anspruch von Solidarität und freier Vereinbarung“ nicht aus und „kompromisslose Kritik“ ist darin etwas giftiges. Wie soll man zusammen leben und kämpfen, wenn unsere engsten Menschen die ganze Zeit unsere kompromisslose Kritik fressen müssen? Ein rücksichtsvolles Miteinander kann so gar nicht zustandekommen. Ohne Toleranz gegenüber manchen Verhaltensweisen oder Eigenarten, die man selbst vielleicht nicht so gut findet, die aber von Menschen kommen, die man gern hat und mit denen man versucht eine widerständige, den Verhältnissen gegenüber intolerante Praxis zu haben, wird man wohl schnell alleine dastehen. Was viel wichtiger wäre, wie das auch propagiert wird, wäre Konflikte auszutragen, wenn es welche gibt. Aber im Gegensatz zu den Konflikten mit den Autoritäten zählt auf einer zwischenmenschlichen Ebene nicht nur das Austragen des Konflikts, sondern auch Lösungen zu finden. Das ist wichtig, um sich nicht voneinander wegzubewegen, und dafür muss man Kompromisse eingehen und irgendwo auch tolerant mit manchen Verhaltensweisen sein, sonst entstehen Hierarchien. Und wie soll man sich gut auf die Zerschlagung der Autoritäten konzentrieren, wenn die Verbindungen zu den engsten Menschen die man hat und mit denen man gemeinsam kämpft, instabil sind und sich alle alleine fühlen? In solchen Konflikten kann man sich sehrwohl bereits positioniert haben, aber so ein Konflikt kann auch nur gelöst werden, wenn man aufeinander eingeht und nicht kompromisslos auf der eigenen Position verharrt und einen Machtkampf austrägt, wer die besten Argumente hat!

Ein weiteres Beispiel: In dem Artikel „Improvisieren…“ in der selben Ausgabe redet ihr von „eine verbindliche, verlässliche Organisierung zwischen uns und anderen Unterdrückten ist unerlässlich.“ Um das alles ein bisschen zu verbinden: Denkt ihr, dass man sich mit den „anderen Unterdrückten“ organisieren kann, wenn man nicht tolerant ist? „Andere Unterdrückte“ ist ein sehr weitläufiger Begriff und weil es in dem Artikel um improvisieren geht, was ja eher etwas spontanes ist: Braucht
man da keine Toleranz, wenn man sich spontan mit „anderen Unterdrückten“ organisiert? Denn Solidarität ist meiner Meinung nach hier der falsche Begriff, wenn man sich im selben Kampf organisiert. Ich will jetzt auch keine Diskussion um „den kleinsten gemeinsamen Nenner“ aufmachen, aber wenn man sich mit anderen Leuten organisieren will – seien es engere Bekannte oder weitere Bekannte – dann kann definitiv nicht alles nur nach dem eigenen Schädl laufen! Wenn ihr dafür einen besseren Begriff habt, als Toleranz, dann bitte her damit! Ich wär froh drum, mir is noch nichts eingefallen!

Schlussendlich noch eine kleine Anmerkung zur „Intoleranz JEDER Form von Herrschaft“ gegenüber. Wenn solche Äußerungen immer wieder in einer Publikaiton fallen, dann ist es völlig intolerabel wenn dieses Thema und andere Themen (wie z.B. herrschaftliche Strukturen gegenüber nicht-männlichen Menschen) nicht behandelt werden. Das macht das Bild vom Kampf gegen jede Form von Herrschaft löchrig und blendet wichtige Aspekte aus! Und ich denke, dass wir in Zeiten der immer voranschreitenden Vereinzelung und Vereinsamung nur stark sein können, wenn solche Themen aufgegriffen, durchdacht und diskutiert werden! Und nicht durch das Fehlen solcher Themen potenzielle Kompliz*innen von Vorne herein ausgeschlossen werden und eventuell vereinzeln, weil die Bekämpfung ihrer Unterdrückung als etwas Unwichtigeres erscheint!