Revolution – Bürgerkrieg – Vernichtung
„Krieg wird immer nur geführt von den Herrschenden gegen die eigenen Untergebenen“ 1984, George Orwell
Im Dezember haben syrische Regierungstruppen die Stadt Aleppo zurückerobert. Aleppo galt als eine der wichtigsten Städte der Rebellen. Der Widerstand gegen das Regime Assad neigt sich dem Ende zu. Damit wäre ein weiterer Schritt in Richtung Zementierung des Herrschaftsanspruches der Baath Partei mit Baschar al-Assad als Führungsperson getan.
In den vergangenen Jahren sind wir ZeugInnen eines der grausamsten Bürgerkriege der letzten Zeit geworden. In den Medien wird der Beginn dieses Krieges mit dem Jahr 2011 festgelegt. Der Bürgerkrieg sei ein Resultat von sich zuspitzenden ‚Protesten’ gewesen. Um ja nicht beim Namen zu nennen, dass es in Syrien eine revolutionäre Bewegung gegeben hat, die versuchte das Regime zu stürzen. Um nicht darüber zu reden, dass es am Anfang nicht nur militärische Milizen und Islamisten waren, die gegen Assad kämpften. Um nicht über die Toten und Geflüchteten zu sprechen, die sich an einer revolutionären Bewegung beteiligten, die versuchte die Grenzen zwischen den Ethnien und Religionen zu überwinden. Und die ein gemeinsames Ziel verband: Den Umsturz der Regierung.
Die sozioökonomischen Bedingungen in Syrien spitzten sich seit den 1970er Jahren immer weiter zu. Dabei war Syrien sowohl finanziell als auch geopolitisch mit andern Staaten eng verbunden beziehungsweise von ihnen abhängig. Neben diversen ‚arabischen Ländern‘ ist Russland einer dieser Staaten. Die finanzielle Unterstützung reicht bis in Sowjetzeiten zurück. Vor kurzem wurde Russland erst wieder die militärische Nutzung des Marinehafens Tartus auf weitere 49 Jahre genehmigt. Ölpreisverfall in den 1980er und 1990er Jahren, Trockenheit und schlechte landwirtschaftliche Bedingungen, Migrationsbewegungen durch militärische Konflikte in der Region, hohe Arbeitslosenzahlen und Inflation hatten auf Syrien schwere Auswirkungen. Dazu kam, dass Syrien seit den 1960er Jahren unter dem verhängten Ausnahmezustand regiert wurde. Der Staat investierte enorme Summen in die Aufrüstung der Armee, um ein Regime an der Macht zu halten, das jede Opposition aufs schärfste verfolgte, folterte und einsperrte. Außerdem wurden verschiedene militärische Expeditionen aufgrund territorialer Eroberungswünsche, beispielsweise gegen Israel, unternommen. Gegen diese schlechten Bedingungen gab es aus der Bevölkerung immer wieder Aufbegehren. Zur totalen Entladung der Wut kam es dann 2011.
Was in Syrien passiert, ist wohl einer der komplexesten Kriege seit langer Zeit. Unter direkter und indirekter Einmischung einer ganzen Reihe von anderen Staaten wie der Türkei, den USA, Russland, Saudi Arabien, Qatar, Iran, Frankreich, Großbritannien, Libanon, usw. Der Stellvertreterkrieg, der lange Zeit als Bürgerkrieg getarnt geführt wurde, ist bald in aktiven Kampfhandlungen und Luftschlägen eskaliert. Mit der Expansion der dschihadistischen Organisation Islamischer Staat (IS), ehemals ISIS, ab 2014 eröffnete sich ein weiteres Kampffeld. Ganz zu schweigen vom Widerstandskampf der Kurden im Norden und der Autonomieerklärung der Region Rojava.
Aktuell legen die russische und türkische Luftwaffe Syrien in Schutt und Asche, um Assad wieder zurück an die Macht zu befördern. Mit dem Argument den IS zu bekämpfen, bombardieren sie ZivilistInnen und andere oppositionelle Rebellengruppen. Putin und die Partei ‚Einiges Russland‘ machen sich mitverantwortlich für den Massenmord. In Österreich werden diese Leute vor allem von der FPÖ verehrt. Erst vor einigen Wochen reiste eine Delegation der Freiheitlichen nach Moskau, um ranghohe Politiker aka Putinanhänger zu treffen. Gleich und gleich gesellt sich gern.
400.000 Menschen wurden seitdem in Syrien getötet. 11,6 Millionen befinden sich entweder innerhalb Syriens oder im Ausland auf der Flucht. Wer sind nun die Menschen aus Syrien? Die nach Europa geflüchtet sind. Ein Teil dieser Leute leistete Widerstand gegen das Regime Assads. Sie organisierten und beteiligten sich an Demonstrationen und Kundgebungen, kämpften gegen die Bullen und das Militär, sie besetzten Universitäten und Schulen, um sie für das gesamte syrische Volk zu öffnen, sie wurden bombardiert, eingesperrt und gefoltert. Weil sie versuchten ihren Traum von der Freiheit zu verwirklichen. Doch wie ein Syrer aus Aleppo, der unter dem Pseudonym Mr. Alhamdo bekannt ist, während seinem ‚Last Call from Aleppo‘ im Dezember 2016 in die Kamera gesagt hat: „Wir wollten Freiheit. Nicht mehr. Aber diese Welt mag keine Freiheit.“ Der Krieg hat die Revolution zerstört.
Wenn wir ins Jahr 2011 zurückschauen, dann finden wir eine ganz andere Situation vor. Es gab noch eine große Bewegung in der Öffentlichkeit, die von allen möglichen Gruppen und Personen, unterschiedlichstem Background getragen wurde. Der Aufstand hatte eine starke soziale Komponente, die in der Folgezeit durch die Militarisierung des Widerstands verloren gegangen ist. Nur jene Gruppen konnten sich halten, die über die entsprechenden finanziellen und materiellen Mittel verfügten. In diesem Kontext spielte die Unterstützung aus dem Ausland eine wichtige Rolle. Das war auch der Grund für den Aufstieg islamistischer Gruppen und anderer religiöser Sekten, die die Revolution überrannt haben. Sie hatten aus dem Verlangen nach einem Umsturz der Herrschaft und dem Traum nach gerechten sozialen Bedingungen einen blutigen Alptraum gemacht. Und so scheint die Wiedererlangung der Herrschaft Assads für den Großteil der Welt eine gerechte Sache zu sein, zumindest aber das geringere Übel.
Am 28. Jänner 2011 zündete sich Hassan Ali Akleh in der Stadt Hasakeh im Nordosten von Syrien selbst an. So wie es sechs Wochen zuvor Mohamed Bouazizi in Tunesien getan hatte und dadurch den Funken erzeugte, der den Arabischen Frühling entfachte. In den folgenden Monaten entwickelte sich in Syrien eine Aufstandsbewegung, die sich aus unterschiedlichen politischen, religiösen und ethnischen Gruppen zusammensetzte. Das gemeinsame Ziel war der Sturz der Regierung und damit die Absetzung von Bashaar al Assad und der Baathpartei. Ab März gab es allwöchentliche Demonstrationen, die von Bullen und Militär niedergeschlagen wurden und zahlreiche Opfer forderten. Dabei wurden offizielle Gebäude, Büros der Baath Partei und Polizeiposten in unterschiedlichen Städten verwüstet und in Brand gesteckt. Die Begräbnisse der ermordeten Regimegegner waren nicht nur Momente der Trauer sondern auch der Revolte, die sich immer wieder zu Krawallen ausweiteten. Wohl nicht zuletzt auch deshalb, dass selbst die Begräbnisse vom Militär angegriffen wurden.
Irgendwann war die Bewegung an jenem Punkt angekommen, dass es ohne den bewaffneten Kampf keine Chance gegen den Staat geben würde. Das hat viele dazu gebracht, die Waffen in die Hand zu nehmen. Die Stimmung begann sich zu drehen. Einer von ihnen, der zu dieser Überzeugung kam, war Basel al-Junaidi aus Aleppo:
„Wir rechneten alle mit dem Tod. Ich hatte Angst davor nackt unter der Dusche zu stehen, weil eine Bombe einschlagen könnte. Ich hatte die Massaker selbst gesehen. Beispielsweise sah ich die Verwüstung durch eine Fassbombe. Ich sah menschliche Überreste verstreut herumliegen. Ich habe die Schreie gehört. Ich bin ausgebildeter Arzt, aber ich war nicht fähig zu handeln. Ich bin nur wie gelähmt dagestanden. Der Westen denkt wir sind an so etwas gewöhnt, was wir natürlich nicht sind. Wir sind wie alle anderen auch – wir verwenden Computer und Autos, nicht Kamele und Zelte. Schau mich an, ich bin Säkularist, ich bin Atheist… Eine religiöse Person, die solche Dinge sieht, würde sich in die Luft sprengen wollen. Selbst ich, wäre ein naher Familienangehöriger so ermordet worden, ich hätte sicher zur Waffe gegriffen. Am Anfang war ich vollkommen gegen die Militarisierung. Jetzt unterstütze ich sie. Ich habe realisiert, dass das Regime nicht durch friedlichen Protest gestürzt werden kann.“
Am Beginn waren diese Entwicklungen noch sehr dezentral. Deserteure aus der Armee begannen sich der Revolte anzuschließen und jede Menge kleinere bewaffnete Gruppen entstanden. Sie verübten Angriffe auf Verantwortliche in Armee und Polizei, die beispielsweise für Folterungen verantwortlich waren (und es wurde und wird verdammt viel gefoltert), oder es waren ganze Straßen und Nachbarschaften, die Verteidigungsgruppen bildeten, um sich gegen die Übergriffe von Militär, Polizei und Söldnern zu wehren. Erst später schlossen sich verschiedene Gruppen zu Armeen unter einer einheitlichen Führung zusammen. Daraus entstand zum einen die Freie Syrische Armee (FSA) und zum anderen andere militärische Verbände. Die Militarisierung, die über kurz oder lang zum Bürgerkrieg führen musste, hatte völlig neue Verhältnisse im Kampf gegen das Regime erzeugt. Was zu einem Absterben der zivilen Bewegung führte und den Einfluss islamistischer und staatstragender Gruppen steigerte. „Revolutionen sterben mit dem Tod des zivilen Widerstandes. Diejenigen, die vergessen wie die Revolution begonnen hat, werden nicht wissen, wie sie enden wird.“ Banner des Selemmiyeh Koordinations Kommitees, 2013
Jede Menge Verschwörungstheorien, Hinweise auf Finanzierungen bestimmter Gruppen und Strategiepapiere zum Sturz der syrischen Regierung kursieren. In einem Konflikt wie diesem will jeder ein Stück vom Kuchen haben. Denn die Region soll zur zukünftigen Ausbeutung geopolitisch geordnet sein. Dennoch wäre es falsch das Verlangen nach Freiheit, das so viele auf die Straße getrieben hat, um sich mit dem syrischen Staat zu konfrontieren, mit diesen Argumenten zu delegitimieren. Oder sie als Spielball höherer Mächte abzuqualifizieren. Die größte Gefahr für die Profiteure des Krieges wäre eine Revolution gewesen, die versucht hätte, die Trennungen zwischen den unterschiedlichen Unterdrückten aufzuheben. Das ist auch der Grund, warum die unterschiedlichen bewaffneten Gruppen von außen mit finanziellen und materiellen Mitteln versorgt wurden. Der Bürgerkrieg sollte sicherstellen dass es mit dem Sturz der Regierung nicht auch zum Sturz der Herrschaftsverhältnisse kommen würde.
Es ist unmöglich hier alle Aspekte dieser Geschehnisse abzudecken oder auch nur anzusprechen. Beispielsweise unerwähnt bleiben an dieser Stelle die Kämpfe in den kurdischen Autonomiegebieten.
Was die Revolutionäre in Syrien miterlebt haben, ist eine gescheiterte Revolution. Ein Versuch der Befreiung, der von den Feinden der Freiheit brutal massakriert wurde. Durch die Gefahr des militärischen Konfliktes, durch die Fallen von Nationalismus und Religion und durch das Geflecht aus Interventionen für kapitalistischen Profit.