„Staatsfeindlichkeit“

Um die Herrschaft zu sichern passt der Staat sein Arsenal an. Je nach Situation und Umstand werden Zuckerbrot oder Peitsche ausgepackt. In der Ära der Sozialdemokratie, in der das Leitmotiv Wohlstand für alle war und damit das Zuckerbrot, sicherten die Herrschenden ihre Privilegien durch Einbindung der Ausgebeuteten, durch Kabel-TV und Mindestsicherung. Diese Ära ist vorbei, auch wenn sie noch nicht gänzlich zu Grabe getragen wurde. Und die Reichen und Regierenden wissen, dass es der Ausschluss und die Peitsche sind, die in den kommenden Jahren ihre Herrschaft sichern.

Deshalb der massive Ausbau an Überwachungsmaßnahmen, den wir hier, in unserer Zeitschrift, seit gut einem Jahr dokumentieren und analysieren. Jedoch werden nicht nur Paragraphen verschärft, sondern, es werden auch Paragraphen wiederbelebt. Ein solcher Paragraph ist der §246, die sogenannte „Teilnahme in einer Staatsfeindlichen Verbindung“.

Sobotka und sein treuer Weggefährte Doskozil wollen diesem Paragraphen wieder Leben einhauchen, unter dem Vorwand der Freemen[1], der OPPT[2] und unter Verweis auf die Gefährlichkeit der Reichsbürger[3], im Territorium des deutschen Staates. Dieser Vorwand ist wie jeder Vorwand der Regierung ein fadenscheiniger und jedem Menschen, der ein bisschen denkt, sollte klar sein, dass die Wiedereinführung dieses Paragraphen, letztlich auf alle abzielt. Genauso wie unter dem Vorwand „Flüchtlinge“ die Kürzung der Mindestsicherung und die de facto Einführung von Zwangsarbeit diskutiert wird und unter dem Vorwand „Islamisten“, über die Einführung von Fußfesseln für Individuen, von denen „abstrakte Gefahr“ ausgeht.

Das letzte Mal, von dem wir wissen, dass der Paragraph 246 eingesetzt wurde, war 1995. Damals kam er hier in Wien gegen die Anarchisten vom Revolutionsbräuhof zur Anwendung. Auslöser waren zwei Plakate, die von einem FPÖler zur Anzeige gebracht wurden. Aus der Anzeige entwickelte sich eine Untersuchung, die sich über mehr als zwei Jahre zog und in deren Verlauf es zu unzähligen Vorladungen und 23 Hausdurchsuchungen kam. Das Verfahren wurde letztendlich eingestellt, der Zweck der Untersuchung, eine enorme Schnüffelei des Staates gegen ihm unliebsam gesinnte Elemente, war aber sicherlich erfüllt.

Wir wollen hier jedoch nicht von Ungerechtigkeit jammern. Wir Anarchisten sind keine Unschuldslämmer, wir sind erklärte Feinde des Staates, jedes Staates, und so ist es nur logisch, dass der Staat uns der staatsfeindlichen Vereinigung bezichtigt. Was wir wollen, ist eine notwendige Klärung unternehmen, die aufzeigen soll, dass Reichsbürger und Konsorten alles andere als staatsfeindliche Gemüter sind, dass sie lediglich einen anderen Staat wollen. Sowie eine Klärung, was wir unter „Staatsfeindlichkeit“ verstehen und wieso sie für uns ein Wert ist, den es zu verteidigen und zu verbreiten gilt.

Dafür müssen wir zuerst klären, was wir unter „Staat“ bzw. „Staatlichkeit“ fassen:

Der Staat ist zweierlei, (1) ein soziales Verhältnis und (2) konkrete Manifestationen dieses Verhältnisses in Form von Infrastruktur und Personen.

Der Staat dient (1) zur Sicherung der Eigentumsordnung und der Privilegien der Herrschenden, (2) zur Verwaltung der Untertanen/Bürger und (3) zur Regulierung des Kapitals.

Die Welt wie wir sie heute kennen, wird durch Staatlichkeit hervorgebracht. Staaten sind die Garanten der Eigentumsordnung, dafür dass Wenige viel haben und Viele wenig. Und auch dafür, dass Wenige Viele regieren und beherrschen, ob der Staat demokratisch oder diktatorisch, von Konservativen, Linken oder von Rechten verwaltet wird, ist dabei nebensächlich – jeder Staat hat seine Herrschaftsclique samt Günstlingen und Rechtfertigsungs- mythos. Die Beziehungen, die der Staat verbreitet, basieren auf dem Autoritätsprinzip und bringen verkümmerte, unterwürfige Konformisten hervor – auch wenn der Staat dazu gelernt hat und weiß, dass eine gewisse Toleranz und liberale Freiheiten als Ventil dienen können, um Revolten vorzubeugen.

Und ja, der Staat ist re-formierbar, er kann seine Ausrichtung ändern, seine Würdenträger können sich neue Kleider überstülpen und einen neuen Sprech annehmen, was an seinem Kern und seiner Funktion – die Herrschaft einer kleinen Elite zu garantieren – nichts ändert, die letzten hundert Jahre haben das eindrucksvoll bewiesen.

Aus diesen Gründe kommen wir Anarchisten zum Schluss, dass der Staat als das wichtigste Fundament der Herrschaft und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zerstört werden muss, damit Freiheit und Selbstbestimmung erblühen kann. Die beiden letzteren, so wollen die Staatsgläubigen uns weismachen, können nur vom Staat garantiert werden und das sei immer schon so gewesen.

Dabei übersehen sie, dass der Nationalstaat, wie wir ihn heute kennen, knapp 150 Jahre Bestand hat und dass in Zukunft Staatlichkeit anders daher kommen könnte, als wir bisher gewohnt sind. So ist durchaus vorstellbar, dass weitere Staatsprojekte scheitern und Staatlichkeit dann einerseits von Firmen und Konzernen übernommen wird, andererseits von Gangs oder Klans. Deshalb ist es unserer Ansicht nach nicht nur ein Versuch die Anarchie zu diskreditieren, sondern schlichtweg falsch, wenn in Zusammenhang mit Territorien in Afrika, in denen einzelne Nationalstaaten nicht so funktionieren, wie der Westen sich das vorstellt, davon zu sprechen, dass dort die Anarchie herrschen würde. Was die Liberalen so gerne als „failed-state“ bezeichnen, ist in der Regel kein herrschaftsfreier oder rechtsfreier Raum, genau sowenig wie er frei von Staatlichkeit ist – die Staatlichkeit wird einfach von anderen Akteuren getragen.

Wir Anarchisten streben ein freies, würdevolles Leben an, eine Welt in der es keine Herrscher und keine Beherrschten gibt, eine Welt, die nicht auf Herrschaft und Ausbeutung basiert, sondern auf Freiheit, Solidarität, freier Vereinbarung und Selbstorganisation. Aus dieser Leidenschaft für die Freiheit entspringt unsere Staatsfeindlichkeit, da wir wissen, dass es der Staat ist, der uns die Freiheit raubt und uns einsperrt, wenn wir uns nicht dem Diktat des Kapitals fügen, uns zu verkaufen, um zu überleben.

Staatsfeindlichkeit heißt in der Praxis die Zurückweisung der Beziehungen, die uns vom Staat auferlegt werden und der Institutionen, durch die sich der Staat zusammensetzt. Also, keine Teilnahme am staatlichen Apparat und keine Kooperation mit staatlichen Organen, genauso wie die Weigerung, Staatlichkeit zu reproduzieren.

Im Gegensatz dazu versuchen die Reichsbürger und Konsorten ihre eigene Polizei und Gerichtsbarkeit aufzubauen, sie wollen lediglich einen anderen Staat, sie sind keine Staatsfeinde und haben mit dem Anarchismus rein gar nichts zu tun.

[1]Freemen: Sie wollen einen eigenen Staat „Erlösterreich“ aufbauen, ausgehend von dem Schloss ihres Obergurus. Der österreichische Staat ist für sie eine „juristische Fiktion“.

[2]OPPT: Unter der Bezeichung One People’s Public Trust (OPPT) versammeln sich auch Leute, die glauben, dass Staaten Firmen sind, von denen sie sich lossagen können. Genauso wie die Reichsbürger fallen sie durch absurde Klagen auf, greifen also auf den Justizapparat des jeweiligen Staats zurück, den sie angeblich ablehnen.

[3]Reichsbürger: Sind eine faschistische Bewegung, die Gehöfte aufkaufen, um von diesen (Siedler-)Kolonien ausgehend ihren faschistischen Idealstaat/Königreich aufzubauen. Sie behaupten, dass die BRD kein Staat sein, sondern nur eine BRDGmbH, aus der man einfach austreten kann.