Wer nicht gegen die Arbeit revoltiert …

Vielleicht ist einigen aufgefallen, dass in den letzten Monaten Aufkleber bzw . Plakate mit dem Slogan ‚Wer nicht gegen die Arbeit revoltiert, arbeitet gegen die Revolte‘ an einigen Orten in Wien aufgetaucht sind. Was hier kurz und prägnant auf den Punkt gebracht wird, will ich noch einmal etwas ausführlicher kommentieren.

Es ist gut Dinge in aller kürze zu formulieren. Und sei es lediglich der Provokation willen, um dadurch den Boden für eine weitere Diskussion zu bereiten, oder einen Anstoß zu geben, hin zu neuen Blickwinkeln auf die Welt der Ausbeutung. Doch verbirgt sich dahinter oft auch ein breiter Interpretationsrahmen. Deshalb ist es gut, gewisse Fragen bei Bedarf zu vertiefen, um etwaige Missverständnisse auszuräumen, beziehungsweise den Diskurs zu erweitern.

Verwertung und Profit sind grundlegende Werte innerhalb der kapitalistischen Logik. Ich kenne keinen Menschen der sich vollkommen außerhalb dieser Logik bewegt. Auf die eine oder andere Art und Weise haben wir alle damit zu tun. Auch wenn es uns immer wieder gelingt, sich diesen Strukturen ein Stück weit zu entziehen, so denke ich nicht, dass es eine individuelle Entscheidung ist, ob ich im Kapitalismus lebe oder nicht. Auch wenn es immer wieder , vor allem auch in der anarchistischen Bewegung, Versuche gegeben hat, diese Sichtweise zu theoretisieren und auch in der Praxis zu erproben. Ganze Bücher wurden mit Strategien zur Abschaffung der Lohnarbeit und dem Aufbau von Gegengesellschaften gefüllt. Für mich ist es nicht erstrebenswert mir eine Nische zu erobern, in der ich ungestört leben kann, während ich alles was außerhalb meiner Blase passiert als minder betrachte. Ich will keinen Elfenbeinturm. Denn ich weiß, dass ich mich dem Spannungsverhältnis und dem Konflikt mit der Herrschaft nicht entziehen kann. Ich kann diesen Widerspruch natürlich anders ausleben, ich kann ihn in einer abgeschwächten oder indirekten Form leben. Beispielsweise als scheinbar ‚Unbeteiligter‘ oder als ‚Isolierter‘. Jedoch ist keine dieser Existenzformen fähig zu einem Bruch mit den Verhältnissen zu gelangen. Die Überwindung unserer Angewohnheiten und der Bruch mit allen Normen und Gesetzen ist ein lebenslanger Akt, der uns jeden Tag neue Aufgaben stellt.

Doch was ist die Arbeit überhaupt? Im Grunde wohl jede Form des Verkaufs meiner Arbeitskraft an einen x-beliebigen Unternehmer , der aus meiner Arbeitskraft wiederum einen Profit, einen Mehrwert schöpft. Die Logik der Arbeit, die Struktur , die sich dahinter verbirgt ist jedoch viel tiefgreifender . In einer Welt der Waren und des Geldes muss ich meine Arbeitskraft investieren um mir die nötigen Mittel meines Überlebens zu sichern. Natürlich hat der moderne Kapitalismus eine Reihe von Abschwächungen geschaffen, die dieses Verhältnis aufweichen oder verschleiern. So ist die bezahlte Arbeitslosigkeit nur scheinbar eine ‚Alternative‘ und unterliegt einer immer strenger werdenden Reglementierung und Disziplinierung. Selbst wenn ich eine Bank überfalle um mir die finanziellen Mittel meines täglichen Überlebens zu sichern muss ich Zeit, Risiko, körperliche und geistige Anstrengungen aufwenden um an mein Ziel zu gelangen.

In jedem Falle ist Arbeit immer die Vernichtung einer bestimmten Zeit in meinem Leben und damit eines Teiles meines Lebens. Diese Zeit wird mir vergütet, damit ich die vom Kapital geschaffenen Waren konsumiere und brav mein Maul halte. Die Logik der Arbeit impliziert in den meisten Fällen eine Gewöhnung des Individuums an verschiedene Formen der Disziplin, der Delegation und der Konkurrenz.

Ein Problem

Wir wissen, dass es keine Rebellion gegen die Autorität, und somit auch gegen die Arbeit, geben kann wenn wir uns nicht zu einem bestimmten Maße selbst überwinden. Ich sehe mich oft unfähig zu handeln, nicht weil ich mir nicht über die Möglichkeiten bewusst bin. Die Möglichkeiten sind gerade das Problem. Denn ich will nicht im Bereich des Möglichen eine rationale Auswahl treffen, wenn mir die Möglichkeiten alle zuwider sind. Es ist wie wenn ich mich für das geringere Übel entscheide nur mit positiven Vorzeichen. Also wenn ich sage: Zumindest kann ich ‚a‘ tun und bleibe von ‚b‘ verschont, auch wenn vielleicht ‚c‘ besser wäre, aber ich kann diesen Zustand nicht erreichen. Es ist ein moralischer Anspruch an mich selbst, etwas zu tun, obwohl ich über den Ausgang längst Bescheid weiß. Deshalb bin ich der Meinung, dass gerade im Bereich des Aktivismus (vor allem auch des anarchistischen), lediglich Fassaden eines Kampfes skizziert werden. In einer Gesellschaft deren öffentlicher Umgang in hohem Maße auf Spektakel und Inszenierung basiert, ist auch ein großer Teil des Anarchismus von diesem Mitteilungsbedürfnis nicht verschont geblieben. Von der Politik ganz zu schweigen.

Und so schaffen wir alle unsere eigenen Konstrukte, Idealbilder oder einfach nur Überlebensstrategien, im Zusammenhang mit der Ausbeutung durch die (Lohn)arbeit. Die einen haben die Arbeitslosigkeit als Weg gefunden, die anderen eine sinnvolle gute Arbeit mit scheinbar reduzierter Ausbeutung, wieder andere machen das nötigste um über die Runden zu kommen, einige wenige begeben sich auf das Terrain des Illegalismus und wieder andere leben im Schutze einer (sub)kulturellen Nische oder fristen ihr Dasein als Bettlerinnen und sind dabei von gutwilligen Bürgern auf der Straße, FreundInnen oder der eigenen Familie abwechselnd oder ausschließlich abhängig. Nicht diejenigen zu vergessen, die sich aufgrund ihrer Karriere, in die hohen Sphären des Bildungsbürgertums und des Intellektualismus erheben oder in ihrer Arbeit die Selbstverwirklichung sehen. Auch wenn es zwischen all diesen Wegen zum Teil erhebliche Unterschiede gibt, ist keine dieser Verwertungsformen per se fähig mit der Ausbeutung zu brechen. Viel eher denke ich dass es nicht die Form ist, die mich dazu bringt zu rebellieren, sondern die Motivation die ich aufbringe in meiner persönlichen Situation, ob nun alleine oder mit anderen gemeinsam die Logik der Arbeit anzugreifen. Also ein Zusammenspiel aus Charakter und Bewusstsein.

Keine Illusionen

Weder die Arbeitslose, noch der Prolet, die Hausbesetzerin oder der Bankräuber sind per se subversiv . Ich kann unterschiedliche Aneignungsmethoden innerhalb der kapitalistischen Ausbeutung praktizieren. Die meisten davon sind nicht fähig aus diesem Kreislauf auszubrechen, das ist offensichtlich, sonst würden sich die Realitäten des Kampfes anders darstellen.

Eine Falle die uns die Logik der Arbeit stellt, ist die Illusion. Ich kann die Herrschaft nicht negieren. Ich kann auch die Zwänge nicht negieren, mit denen ich jeden Tag kämpfe. Einfach mit dem Arbeiten aufhören, bedeutet auch seine Überlebenssicherung zu verlieren. Natürlich gibt es Menschen, die sich ein Leben ohne Arbeit leisten können. Ob ich das einfach so kann oder nicht, hat einen klaren Klassenkontext. Das macht die Klassenstruktur in der Gesellschaft aus. Muss ich einen Teil meiner Zeit vernichten, um zu überleben?

Wir machen uns oft Illusionen darüber was zu tun ist, was wir erreichen können und was die Tragweite unserer Handlungen betrifft. Als Anarchist stelle ich den Anspruch an mich selbst, wie an alle anderen weder Beherrschter noch Herrscher zu sein und in diesem Zusammenhang die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Mit dieser Spannung umgebe ich mich, kämpfe ich und vertiefe mich jeden Tag aufs neue darin. Ich teste meine Grenzen aus, versuche meinen Theorien eine Praxis zu geben und umgekehrt will ich meine verschiedenen Erfahrungen und Wahrnehmungen theoretisieren und mit anderen teilen. Ich begebe mich auf unterschiedlichstes Terrain, um Erfahrungen zu sammeln aus denen ich lernen kann. Es gibt für mich keinen Anfang und kein Ende, lediglich eine konstante Spannung mit der Welt die mich umgibt und den Individuen zu denen ich unterschiedlichste Beziehungen aufbaue oder in Konflikt gerate. Die Geschwindigkeit dieser Handlungen bestimme ich selbst, keine Anführer, kein Aktivismus und keine quantitative Hast können mich von diesem Rhythmus abbringen. Dabei bin lediglich ich selbst mein schärfster Kritiker.

Wir dürfen uns also über die Komplexität der Ausbeutung und unsere Rolle in der Klassengesellschaft keine Illusionen machen. Es gibt keine Selbstverwirklichung, außer die Selbstverwirklichung in der Revolte.

Die Überwindung

In den letzten Punkten war von der Überwindung die Rede. Wie kommen wir nun

zu einer Überwindung der Arbeit? Das ist die große Frage.

Was soll überhaupt überwunden werden? Noch einmal: es geht mir nicht darum lediglich die Tatsache der Lohnarbeit innerhalb der kapitalistischen Realität abzuschaffen oder auf ein Minimum zu reduzieren. Die gute, sinnvolle Arbeit beziehungsweise die bezahlte Arbeitslosigkeit zur ‚mindesten Sicherung‘ meines Überlebens und Konsums ist nicht das Ziel. Vielmehr geht es um ein konfrontatives und zerstörerisches Verhältnis zu allem was die Logik der Arbeit angeht. Dabei kann der Aufbau von eigenen kreativen Lebensentwürfen und Projekten der Aneignung eine Etappe auf dem Weg zur Eskalation sein, aber nie das Ziel.

Ich denke dass jeder Mensch das Recht auf Faulheit und individueller Selbstentfaltung hat. Der Arbeitsprozess ist dabei eine Hürde die überwunden werden muss um mir dieses Recht, das ich nicht im juristischen oder formellen Sinn verstehe, zu garantieren. Ich denke, es ist ein Naturrecht, das wir uns nur durch die Revolte zurück erobern können.

Mich der Lohnarbeit als sehr konkrete Form der ökonomischen Ausbeutung zu widersetzen kann sehr vielfältige Formen annehmen. Mich der Arbeit entziehen um mir die Erholung zu gönnen die mir zusteht, der Diebstahl um mein karges Einkommen ein wenig aufzubessern, die Sabotage um den fortlaufenden Betrieb zu unterbrechen und den Arbeitsprozess in seiner Geschwindigkeit einzubremsen, den Vandalismus um die Produktionsmittel zu zerstören, etc. All das sind Methoden um der Arbeit die Stirn zu bieten, all das kann eine Rebellion gegen die Arbeit sein. Viele dieser Strategien kommen oft unbewusst zur Anwendung. Ab dem Punkt wo diese Akte jedoch zu gezielten Angriffen werden, wo wir uns unserer eigenen Situation und dem Sinn des Angriffes klar werden kommen wir zu einem anderen Punkt.

Die bewusste Rebellion

Die Anarchisten haben schon vor langer Zeit erkannt, dass die Machtstrukturen sehr viel komplexer sind als sie von anderen politischen, sozialen und revolutionären Kräften angenommen wurde. Die Strukturen der Ausbeutung hängen nicht nur von der Gut oder Böswilligkeit einer Regierung ab. Es geht dabei nicht nur darum, dass die Eroberung der Macht immer ihre Akteure korrumpiert. Die Strukturen der Macht sind auch nach innen verdichtet. Der Boss und der Vorarbeiter im Betrieb, die Strukturen der Kleinfamilie mit dem Mann als Oberhaupt, die Gewerkschaftsführer und Parteikader, die Avantgarden des politischen Aktivismus, die Journalisten und Meinungsmacher in den Medien und nicht zu vergessen die vielen zivilen Bullen die neben der Polizei geschaffen wurden um uns in allen Bereichen der Öffentlichkeit zu kontrollieren.

Mir über diese Dinge bewusst zu werden, bedeutet auch, dass ich anfangen muss mit der Logik zu brechen. Nur so kann ich zur Praxis gelangen. Im Kontext der Arbeit muss ich mich also mit den verschiedenen Kontrollmechanismen, der Delegation, der Disziplinierung, der Konkurrenz und der Hierarchie auseinandersetzen. Ich komme nicht zur bewussten Rebellion, wenn ich mich dem Druck entziehe. Ich komme zur bewussten Rebellion wenn ich mich konfrontiere und den Wächtern und Profiteuren der Ausbeutung in gleicher Münze zurück zahle.

‚Wer nicht gegen die Arbeit rebelliert, arbeitet gegen die Revolte‘ bedeutet für mich nicht nur , dass ich an meiner Kreativität und meinen Möglichkeiten eines würdevollen Überlebens forsche, sondern vor allem auch mich der Logik nicht zu beugen. Nicht zum Kollaborateur irgendeines Profiteurs und Ausbeuters zu werden, sondern die Mentalität der Subversion, der Desertion und der Autonomie zu verbreiten. Mich nie mit den Almosen des Kapitals zufrieden zu geben und dort zu kämpfen, zu plündern und zu zerstören wo ich gerade stehe. Mir also ein Projekt auszuarbeiten. Mit dem Ziel zu einer generalisierten Auflehnung zu gelangen die fähig ist die Arbeit und ihre Logik von Grund auf zu zerstören.