Auslagerung des Elends

Die demokratischen Herrscher Europas und der USA waren schon immer bereit, zum Erhalt ihrer Macht mit jeder pro-westlichen Diktatur ins Bett zu steigen. Und so wird auch heute das Massaker an den Kurden toleriert und verschwiegen werden, solange die Türkei nur brav dafür Sorge trägt den “Flüchtlingsstrom” zu stoppen. Was Australien schon seit mehreren Jahren praktiziert – das Elend auf Inseln vor Australien abzuschieben – könnte bald auch in Europa Realität werden.

Eingesperrt in Internierungslager in Griechenland (verfügt schon über Lager für 1 Million Menschen, denen jetzt nochmal ein Lager für 400.000 bei Athen folgen soll) und der Türkei (es befinden sich 6 Lager für 2 Millionen Menschen in Bau), und noch größere Lager im Libanon, etc. – aus den Augen aus dem Sinn. Abgschottet durch immer größere Polizei- und Militärapparate, “sicher” vor Wirtschaftmigranten, sicher vor dieser überschüssigen Ware. Und die Ware, die die Tore der “Festung Europa” passieren darf, muss „lückenlos“ kontrolliert, registriert und in Datenbanken aufgenommen tun, denn es gilt: Besser ein ertrunkener als ein nicht registrierter Flüchtling.

Alle scheinheiligen Werte des sogenannten Abendlandes, deren Verschwinden so viele befürchten, sind mit den abertausenden Toten im Mittelmeer ertrunken. Viele dieser Entwicklungen (Grenzzaun, Militärflugzeuge für die Abschiebung, „Enteignungen“ der Flüchtlinge in Deutschland und Dänemark….) waren bis vor kurzem zwar noch undenkbar, jedoch absehbar. Denn egal wie man die Situation benennt, der aufmerksamen Beobachterin kann nicht entgehen, dass diese Entwicklungen das fundamentale Wesen des Kapitalismus und der Staaten aufs brutalste und offenste sichtbar machen.

Jenes fundamentale Wesen, dass Staat und Kapital auf Unterwerfungen, Herrschaft und Ausbeutung basieren. Dass 10% der Menschheit auf dem Rücken der restlichen 90% lebt. Und dass ein minimaler Teil dieser Menschen, sei dies aufgrund von Flucht oder aufgrund der eingeimpften Bilder, wie toll das Leben in der westlichen Welt nicht sei, sich auf den Weg ins gelobte Land gemacht haben. Und dass die Bewohner und Profiteure, eben dieses gelobten Europas, die nur so leben können, wie sie leben, aufgrund des Elends jener die jetzt kommen, mit diesem Abfallprodukt – diesem menschlichen Sondermüll – ihrer Lebensweise konfrontiert sind.

Die richtige Sprache finden, die richtigen Geschichten erzählen

Worte haben die Macht Wahrheiten zu schaffen. “Grenzzaun”, nein, “Barriere”, nein, “Leitsystem” zum „Empfangscenter“ hm ja, das klingt schon besser. So lief das in Spielfeld und so läuft das auch darüber hinaus: Internierungslager sind “Hotspots”, Abschiebelager sind “Rückführungscenter”, das klingt ja gleich viel netter, humaner. Unter diesem Neusprech wird begraben um was für Orte es sich hier eigentlich handelt: Mit Natostacheldraht überzogene Zäune und Gefängnisse in denen die Menschen entwürdigt und zu Nummern degradiert werden.

Für den Staat ist der Umgang mit den ankommenden Menschen in erster Linie ein Verwaltungsproblem. Weder will noch kann er alle aufnehmen, deshalb muss er dieses „Menschenmaterial“ kategorisieren, um es in brauchbares und überflüssiges einzuteilen. Auch hier ist die Sprache und die mit ihr geschaffenen Realitäten sein nützlichstes Instrument. Denn was mit Grenzzäunen funktioniert, funktioniert auch mit Menschen – man kann vieles mit ihnen anstellen, solange man sie richtig benennt. „Politischer Flüchtling“ vs. „Wirtschaftsmigrant“, „Fachkraft“ vs. „Unterqualifizierter“, „integriert/integrationswillig“ vs. „kriminell“. Während die einen in die Arbeitswelt eingereiht werden, werden die anderen zur Abschiebung freigegeben.

Um sich selbst und ihr Handeln zu legitimieren müssen die Herrschenden immer eine Geschichte und eine Erzählweise erfinden. Einen Mythos, der uns verkauft wird, damit wir gefügig jede Situation hinnehmen. Anfangs war der österreichische Staat überrascht von der Selbstverständlichkeit mit der viele Leute den ankommenden Menschen geholfen haben. Vor allem weil es sich auf humanitäre und substanzielle Hilfe beschränkte, entstand das Bild – die Geschichte –, dass „wir die Guten sind“. Bis dahin hatte sich der österreichische Staat noch nicht wirklich eingeschalten, war die selbstorganisierte Unterstützung noch nicht in kontrollierte Bahnen verdrängt. Heute hat sich die Geschichte gewandelt. Denn wenn die Stimmung vorherrscht “dass wir denen gut helfen und es zwar nicht einfach ist, aber doch funktioniert” dann kann der Staat nicht so einfach machen, was er aus seiner Sicht, machen muss. Deshalb reicht es nicht, dass “wir die Guten sind”, sondern es muss lauten, dass „sie die Bösen sind”. Und dafür müssen die richtigen Geschichten erzählt werden.

Während sexuelle Übergriffe in unserer wie in anderen patriarchalen Gesellschaften alltäglich sind, vom Bierzelt, über die Disko bis ins Eigenheim und dort meist verschwiegen und unter den Tisch gekehrt werden, sorgten die Vorfälle in der Silvesternacht für einen internationalen Skandal. Jedoch, behaupte ich, nicht in erster Linie um sexualisierte Gewalt und das Patriarchat zu thematisieren und anzugreifen, sondern um – richtig erzählt und verbreitet – klar zu machen, dass Migranten „triebgesteuerte Vergewaltiger“ sind, dass sie „die Bösen“ sind. Und so stehen jetzt auch jene, die sonst überall „Genderwahn“ und „Feminisierung“ wittern, plötzlich in der ersten Reihe wenn es darum geht „unsere“ Frauen zu schützen.

Kämpfen statt kümmern!

Was passiert in spätestens 2 oder 3 Monaten wenn wieder Tausende Menschen versuchen werden nach Europa zu gelangen? Was passiert wenn die vom österreichischen Staat gesetzte Obergrenze erreicht ist? Wie werden die „unschönen Szenen“ die Innenminister Klug an der Grenze in Aussicht gestellt hat, beziehungsweise der „Worst Case“ für den der Verteidigungsminister Doskozil rüstet, aussehen?

Als AnarchistInnen kämpfen wir für das Ende jedes Staates, für die Zerstörung des Kapitalismus und damit auch für die der Grenzen. Deshalb können wir uns, auch wenn uns das Elend der Menschen betroffen macht, nicht mit der Unterstützungslogik zufrieden geben. Wir verwerfen die Betroffenheit als Ausgangspunkt, weil wir wenn wir unser Handeln nach ihr ausrichten, bei humanitärer und substanzieller Hilfe stehen bleiben. Wenn wir uns lediglich um die Menschen kümmern und versuchen sie „bestmöglich“ zu integrieren, akzeptieren wir damit die Gesamsituation – die der Grenzen an sich – und bleiben ihr gegenüber passiv. Letztendlich übernehmen wir dann lediglich – gratis – Aufgaben des Staates, ohne ihn auch nur irgendwie anzugreifen.

Den Ausgangspunkt, den ich vorschlage ist das Verlangen nach Freiheit und Würde. Ein Verlangen auf dem ein gemeinsamer Kampf aufgebaut werden könnte. Ein Verlangen, das im letzten Jahr immer wieder sichtbar wurde: Wenn Menschen die Registrierung verweigerten, aus ihren Gefängnissen flüchteten und sie in Brand steckten oder Grenzen gewaltvoll überwanden.

So ein Kampf würde sich in erster Linie nicht in der Unterstützung erschöpfen, sondern sich im Angriff auf die Verantwortlichen, Befürworter und Profiteure der bestehenden Ordnung und damit der „Flüchtlingskrise“ manifestieren. Es wäre ein konkreter Kampf gegen die Grenzen und die Welt, die sie hervorbringt. Deshalb lautet unsere Parole auch nicht „Refugees welcome“ sondern „Für die Zerstörung der Staaten und der Grenzen“.