Von Donnerstags-Demos, Lichterketten und dem Tag X
In den ersten Wochen nach der Wahl haben sich am Donnerstag immer wieder Leute vorm Parlament getroffen, um gegen eine sich bildende schwarz-blaue Regierungskoalition zu demonstrieren. Nach anfänglicher Euphorie über die spontanen Versammlungen sind diese Aktivitäten wieder versandet. Seit längerer Zeit gibt es parallel dazu die Mobilisierung zum sogenannten ‚Tag X‘, also dem Tag der Regierungsangelobung. Für dieses Datum ruft unter anderem das Bündnis ‚Radikale Linke‘ zu Demonstrationen auf. Außerdem fanden verschiedene andere Aktionen und Protestbekundungen statt, wie eine Lichterkette rund um die Ministerien, an der sich 10.000 Personen beteiligten.
Die sogenannten ‚Donnerstagsdemos‘ waren eine der wichtigsten Kontinuitäten des Widerstandes gegen die damalige schwarz-blaue Regierung in den frühen 2000er Jahren. Heute haben wir andere Verhältnisse. Es wird kein ‚Revival‘ der damaligen Widerstandsbewegung geben. Und wir sollten uns davor hüten die Vergangenheit zu mystifizieren. Denn die breite Beteiligung hatte damals auch eine Minderung der Qualität der Proteste, über subversive Möglichkeiten und Mittel zur Folge. Das Ansteigen der zahlenmäßig hohen Beteiligung an den Protesten – zumindest für österreichische Verhältnisse – darf nicht mit einer Vertiefung und Qualität verwechselt werden. Viele Distanzierungen, idiotische Positionen zur Gewaltfrage, nach dem Motto ‚Hauptsache friedlich‘, sowie die Vereinnahmungsversuche aller möglichen trotzkistischen und leninistischen Sekten und anderer Möchtegern- oder tatsächlichen PolitikerInnen waren fixer Bestandteil des damaligen Widerstands gegen ‚Schwarz-Blau‘. Die Aktivitäten basierten auch nicht per se auf antiautoritären Grundlagen. Von einem Konsens über, oder eine Akzeptanz zu verschiedenen Aktionsformen, ganz zu schweigen. Reaktionäre, befriedende, mit den Cops kooperierende Kräfte und autoritäre Positionen waren genauso Teil der Proteste.
Der Zustand der Bewegung ist heute anders als 2000. Das muss auf jeden Fall bedacht werden. Das explosive Potenzial von 2000 scheint schon alleine deshalb nicht mehr vorhanden zu sein, weil das Tabu einer Regierungsbildung mit einer FPÖ durch Schüssel und Haider bereits vor 17 Jahren gebrochen wurde.
Als AnarchistInnen halten wir jede Initiative gegen die Macht, vorausgesetzt sie bewegt sich in ihren Grundzügen auf einem antiautoritären/subversivem Terrain, für eine Möglichkeit. Wir sind aber dagegen, sich einfach an einer Dynamik zu beteiligen, oder diese unter den Voraussetzungen, die von anderen vorgegeben wird, mitzutragen. Wir halten es für wichtiger, die eigenen Inhalte in diese Entwicklungen hineinzutragen. Denn das ist es, was wir wiederholt zu tun haben: Immer wieder unsere Vorschläge zur Diskussion zu stellen. Dazu gehören die Selbstorganisierung und Autonomie der Kämpfe und die kontinuierliche Propagierung der Zerstörung der Herrschaft und ihrer Mittel.
Ich halte es für einen Fehler sich einzig und allein auf einen anti-schwarz-blauen Diskurs als Verdammung des ultimativen Bösen einzuschwören.
Warum? Weil es eine politische Kontinuität in diesem Land gibt, die maßgeblich von den SozialdemokratInnen mitgetragen wurde: Gesetzesverschärfungen, institutioneller Rassismus, Aufrüstung und Grenzschutz, Sozialabbau und Verarmung, etc. Das ist der Grund, warum wir der SPÖ und ihren SympathisantInnen keinen Zentimeter Raum zugestehen wollen, wenn es um eine Kritik an der aktuellen Regierung geht. Eine Hürde in dieser Auseinandersetzung wird es sein, eigenständige Dynamiken zu forcieren und eine antiautoritäre Debatte anzustoßen, die sich nicht von der Politik abhängig macht.
Vor unseren Augen hat sich eine eingemauerte Gesellschaft konstruiert, nicht nur in Österreich, sondern in weiten Teilen Europas. Sie ist Resultat einer sich im Verfall befindenden Realität. Der Rechtsruck ist eine plumpe Reaktion auf diesen Prozess, der sich unabhängig davon, wer gerade in der Regierung sitzt, fortsetzen wird. Wenn wir uns mit der Welt konfrontieren, wenn wir uns mit den Individuen, denen wir jeden Tag begegnen, auseinandersetzen, dann werden wir feststellen, dass die Welt alles andere als schwarz und weiß ist.
Doch die existierenden Schattierungen würden nur jenen Standpunkt bestätigen, den wir als Antiautoritäre und Anarchisten immer schon vertreten haben: Dass die fürs Überleben massgeblichen Unterschiede nicht zwischen den Ausgebeuteten existieren, sondern zwischen Herrschenden und Ausgebeuteten. Zwischen jenen, die von der Ausbeutung profitieren und jenen, die nichts anderes anzubieten haben als ihre Zeit, ihre Arbeitskraft, ihr Leben zu verkaufen, um Überleben zu können. Und in letzter Konsequenz zwischen jenen, die die Macht und die Entscheidungsgewalt in dieser Welt haben, und jenen, die diese ablehnen und dagegen ankämpfen. Das ist der Punkt, um den sich alles dreht. Die offene Kritik und der Angriff auf diese Strukturen der Ausbeutung, auf die Gesamtheit der Herrschaft, die uns jeden Tag ein Leben in Freiheit abspricht, ist die Essenz des Anarchismus.
Die sich in Österreich gerade bildende Regierung ist symptomatisch für den autoritären Umbau der Macht in ganz Europa und darüber hinaus. Ihr sind eure Lichterketten und Protestkundgebungen nicht einmal ein Arschkratzen wert. Jegliche Fakten oder Argumente haben gegenüber den aktuellen BeherrscherInnen der Welt ihren Wert verloren. Deshalb ist mit diesen Leuten auch keine politische Diskussion mehr möglich, die sich nur mehr damit beschäftigt über Tatsachen zu streiten. Menschen, die vor Kriegen flüchten, bezeichnen sie als TerroristInnen, die Klimakatastrophe, die sich in vielen Teilen der Welt bereits auf drastische Weise zeigt, erklären sie zum Hirngespinst. Sie fordern den 12-Stundentag und tun so, als würden damit Zugeständnisse an die Lohnabhängigen machen. Sie reden von Freiheit und verwandeln ganz Europa in einen Polizeistaat. Der sogenannte neue Stil, die vollständige Digitalisierung und ständig weitergetriebene Rund-um-die-Uhr-Flexibilität ist dabei nichts anderes als Kontrolle, Disziplinierung und Domestizierung. Es gibt nichts, worüber wir mit diesen Leuten diskutieren könnten, es gibt Nichts, was wir von diesen Leuten fordern könnten.
Deshalb ist unser Vorschlag, den wir hier beitragen, so alt wie die Menschheit selbst: Ein Aufstand, der aus der völligen Ablehnung der Macht und deren Unterdrückung entsteht. Es beginnt nicht mit Angst oder Empörung. Es beginnt mit Wut und Bewusstsein über unsere Verlangen. Wir müssen eine bestimmte Mentalität in uns pflegen und versuchen in anderen zu wecken, die nicht bei sich wiederholenden Protesten und Betroffenheit halt macht. Eine Mentalität, die jede Idee, jedes Zugeständnis und jede Übereinkunft mit der Macht ablehnt. Sie muss eine Trennlinie zwischen uns und der Politik zeichnen. Sie muss die Fähigkeit haben, bei jeder Gelegenheit zu explodieren, wo die Herrschenden in unser Leben pfuschen. Die antiautoritäre Kritik ist alltäglich. Sie darf sich nicht auf kleine elitäre Kreise beschränken, sondern muss allen gehören. Als AnarchistInnen müssen wir uns jeden Tag mit den unangenehmsten Fragen konfrontieren. Das ist es, was wir zu tun haben: Alles in Frage zu stellen, um uns neue Perspektiven zu eröffnen. Die alten Rezepte immer wieder aufzukochen, macht uns durchschaubar. Unvorhersehbar zu handeln und dort zuschlagen, wo es der Feind nicht erwartet, ist eine Kunst, die noch zu erlernen ist. Nur so können wir die Macht zu Fall bringen.
Lasst uns unsere Möglichkeiten erweitern! Gegen jede Regierung und Autorität!
Egal, ob blau-schwarz, rot-grün oder blasslila-gestreift.