Die „Untertanen“

Herrschaft und Ausbeutung existieren nicht deshalb, weil es „die da oben“ gibt und sie nicht von ihrem Thron steigen wollen. Also zumindest nicht nur. Herrschaft und Ausbeutung existieren auch, weil „die da unten“ nicht oder zu wenig am Thron rütteln und damit die Herrschenden zum Teufel jagen. Nun gibt es jene, die zwar am Thron rütteln, dies aber mit der Absicht tun, den Thron selbst zu erklimmen. Wir sind AnarchistInnen und was wir am meisten wollen, ist den Thron in tausend Teile zu zerschlagen, damit niemals wieder jemand draufklettern und über uns stehen kann!

Im April 2016 erschien in dieser Zeitschrift ein Artikel mit dem Titel „Die Herrschenden“, in dem wir ausführten, was und vor allem wen wir mit diesem Begriff meinen. Nun ist es bei den Herrschenden etwas komplizierter als bei den – nennen wir sie – Untertanen. Diese sind jedoch lediglich die andere Seite der Medaille, wenn wir über gesellschaftliche Machtstrukturen reden und tragen mindestens ebenso zur Aufrechterhaltung dieses Systems bei, wie die Herrschenden. Und doch ist es auch hier etwas kompliziert…

Untertanen sind deshalb Untertanen, weil sie diese Existenz akzeptieren und nicht dagegen aufbegehren. Natürlich gibt es immer dutzende rationale Gründe, gegen eine bestimmte Situation nicht feindselig vorzugehen: weil es gemütlicher, „sicherer“ und bequemer ist. Aber der Preis für diese Gemütlichkeit und „Sicherheit“ ist hoch. Wir geben im Tausch dagegen auch unsere Würde und unsere Freiheit her.

Mir geht es nicht unbedingt darum, dass wir in jeder einzelnen Sekunde des Lebens gegen ALLES revoltieren, was uns einengt, das wäre enorm überfordernd. Mir geht es eher darum, damit anzufangen: sich nix mehr gefallen lassen, auf die vorgegebenen Normen scheißen, die Dinge des täglichen Lebens in die eigenen Hände zu nehmen. Das ist für mich der Beginn des Bruchs mit der Mentalität des Untertans und damit der Beginn des Untergangs der Herrschenden und der Beginn unserer Freiheit.

Wie viele haben schon aufgegeben, bevor sie jemals angefangen haben zu kämpfen? Aufgegeben, angesichts der scheinbaren Überlegenheit des Polizeiapparates, der Gerichte und ihrer Paragrafen, des technologischen Wahnsinns etc. Diese Resignation, dieses „ja eh, aber…“, kotzt mich an! Es gibt jeden Tag tausend Möglichkeiten, wie wir unsere Umwelt verändern können. Tausend Möglichkeiten, dort anzugreifen, wo sie uns am wenigsten erwarten. Tausend Möglichkeiten, unsere Leben in selbstbestimmter Art und Weise zu führen. Tausend Möglichkeiten, für etwas Wirbel im „Paradies“ zu sorgen…

Wenn wir uns der Resignation hingeben, haben wir schon verloren. Selbst in dem totalitärsten Regime auf der ganzen Welt gibt es immer Mittel und Wege, dieses zu sabotieren und Momente der Freiheit zu erkämpfen – die Umstände differieren natürlich trotzdem von Kontext zu Kontext.

Viele haben einen Umgang mit der täglichen Demütigung „von Oben“ entwickelt, der die Demütigung möglichst komplett „nach Unten“ weitergibt: der Frust wird immer eine Stufe weiter runtergetragen: gegen Geflüchtete, Arbeitslose, Obdachlose, oder wer auch immer in der Hierarchie beschissener dran ist. Dies ist die Mentalität der gehorsamen Untertanin, die nicht aufbegehrt sondern genau das macht, was von ihr erwartet wird: Ellbogen raus, funktionieren und die Goschn halten.

Was aber würde passieren, wenn wir diese Mentalität ablegen? Wenn wir – anstatt nach unten zu treten – in die andere Richtung schlagen würden?

Veränderungen in Richtung Freiheit, wie ich sie hier meine, gingen nie von Oben sondern stets von Unten aus. Und dazu gibt es etliche Ideen und historische Versuche, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Wenn ich von Anarchie spreche, dann ist das genau das: das Verlangen nach Freiheit und die Art, wie ich sie erreiche. Und die einzige Methode in Richtung Freiheit heißt für mich, dass ich gemeinsam mit Anderen nach den Prinzipien der Selbstorganisierung, der Autonomie und der Feindschaft gegenüber dieser Gesellschaft handle. Dies schließt aus, dass wir brave Untertanen sind und es schließt auch das bloße Schimpfen auf Autoritäten aus, wir müssen zur Praxis übergehen und das bedeutet eben beides: die Herrschenden zu bekämpfen und unsere Untertanenmentalität abzulegen. Anarchistische Methoden dazu gibt es einige und wir sind in dieser Zeitung immer wieder auf die wichtigsten eingegangen. Ich möchte jetzt trotzdem nochmal darauf zu sprechen kommen, weil es für mich notwendiger denn je ist, unsere Kämpfe und unseren Alltag auf eine solche Art zu organisieren.

Selbstorganisierung:

Ich schließe mich mit Menschen zusammen, mit denen ich ein gemeinsames Ziel, gemeinsame Vorgehensweisen und ähnliche Leidenschaften teile. Dies sind keine PolitikerInnen, Gewerkschaftsfunktionäre und Ähnliches, weil die definitiv ihre eigenen Interessen verfolgen, die den meinen entgegen gerichtet sind. Dabei will ich nicht auf ein Utopia in 30 Jahren warten, weil ich dann evtl. schon tot bin. Ich will meine Ideen von Freiheit und Anarchie im Hier und Jetzt umsetzen, soweit das eben im Moment geht und immer weiter danach streben und experimentieren. Und das muss eben von Unten und selbstorganisiert geschehen und eben nicht von Oben: denn dieses Oben/Unten will ich zerlegen.

Autonomie:

Mir ist es wichtig, dass die einzelnen Individuen nicht in einer Gruppe untergehen und sich dem „Gruppenwillen“ beugen. Allzu oft entsteht innerhalb von Gruppen eine Passivität, die lähmt und kontraproduktiv ist und wo die Aufrechterhaltung der Gruppe (um der Gruppe willen) im Vordergrund steht. Daher versuche ich, möglichst große Handlungsspielräume beizubehalten, die es mir und anderen erlauben, selbständig zu handeln. So können Energien gebündelt werden, anstatt dass man sich gegenseitig im Wege steht.

Autonomie bedeutet auch, dass ich versuche die technischen, materiellen und sonstigen Mittel, die ich zur Umsetzung meiner Ideen benötige, auf eine möglichst autonome, sprich unabhängige Art und Weise beschaffe. Konkret heißt das, dass ich nicht auf Förderungen oder Subventionen von jenen angewiesen sein will, die ich bekämpfe und mir das nötige Wissen und die Fähigkeiten aneignen will, die ich zur Umsetzung von Projekten brauche.

Feindschaft:

Ich hasse diese Gesellschaft und ich hasse die Ausbeutung und Unterdrückung. Deshalb kämpfe ich dagegen an, weil sie meine Freiheit massakriert und mich als gehorsamen Untertan sehen will, der ich nicht bin und nicht sein will. Feindschaft bedeutet für mich, dass ich keine Kompromisse mit der Macht eingehen will, die schlussendlich nur wieder meine Autonomie einschränkt und die Macht derer stärkt, die glauben, über mir zu stehen. Das Leben ist einfach zu kurz, um es mit Mittelmäßigkeiten und Kompromissen zu füllen. Anarchie steht feindlich gegenüber der Herrschaft und ist somit nicht mit diesen Verhältnissen unter einen Hut zu bringen. Feindschaft bedeutet daher, dass wir subversiv und revolutionär bleiben, in dem was wir tun, um sich nicht selbst als Teil dieser Scheiße zu etablieren. Anarchistische Ideen und Praxen sind also Feindschaft gegenüber dieser Gesellschaft und befinden sich daher auch im Konflikt mit ihr.

In diesem Sinne: spuck nicht nach unten, du spuckst dich nur selbst an!