In der Jänner-Ausgabe diesen Jahres (Nr.25) veröffentlichten wir eine Rezension, die sich mit der kürzlich erschienen Broschüre „Smarteres Gefängnis – ein Aufruf zum Krieg gegen die multinationalen Technologieunternehmen beschäftigt. Nun wurde uns folgender Diskussionsbeitrag per Mail zugesandt, den wir hier veröffentlichen wollen, um die Diskussion weiterzuführen. Die Broschüre ist hier zu finden oder kann über diese Zeitung bezogen werden: anarchistischebibliothek.org/library/radicalinterferencesmarteresgefangnis
In der letzten Ausgabe der Revolte schreibt ein Anonymus in seiner Rezension der Broschüre „Smarteres Gefängnis?“ in einem etwas knappen Sätzen: „Doch auch in der formulierten Kritik daran [an der Technologie] werden Dinge oft überzeichnet und etliche Behauptungen aufgestellt, wie etwa, dass Menschen dümmer werden (Stichwort Deskilling), je smarter die Umwelt.“ Nun meint die rezensierende Person wohl, die Behauptungen würden haltlos, oder ohne genügende Argumente aufgestellt, bzw. dass sie so eben nicht aufgestellt werden könnten.
Ich will hier nicht etwa die fragliche Broschüre verteidigen, die natürlich auch gewisse Schwächen hat… ich habe mich nur gefragt, wieso denn die Massenverdummung die durch die Smartifizierung kreiert wird, noch bewiesen werden müsste…? Ich glaube, wer für das Offensichtliche noch Beweise braucht, wenn er doch das Beweismaterial in fast jeder, zumindest urbanen, Gegend der Welt täglich vor Augen hat, dem ist nicht zu helfen. Ansonsten will ich hier versuchen, ein paar grobschlächtige Bestandesaufnahmen zu liefern.
a) massiver Verlust der Orientierungsfähigkeit: täglich sieht man Menschen, die nicht fähig sind, sich ohne Smartphone bzw. GPS-Technologie zu orientieren. Die Leute werden unfähig, Karten zu lesen, sich Strassennamen, ja, überhaupt geographische Orte, zu merken, oder andere nach dem Weg zu fragen… Viele Leute werden mitunter aktuell im Strassenverkehr (dessen alte Form ich mir durchaus nicht zurückwünsche) von ihrem GPS gesteuert, bzw. von dem jeweiligen Anbieter ihrer App!
b) es gibt etliche psychologische und neurologische Studien (und ja, die Wissenschaftler sind nicht unsere Freunde, aber wenn sogar die das sagen…) darüber, dass das Lang- wie das Kurzzeitgedächtnis massiv verkümmert angesichts von Suchmaschinen die man in der Tasche mit sich rumträgt. Bzw., um die Sache beim Namen zu nennen: das Gedächtnis wird aufgegeben, um von nun an von Konzernen (Google z.B.), verwaltet zu werden.
c) Verkümmerung des räumlichen Vorstellungsvermögens: man betrachte sich ein Baby, dass denkt, es könne Gegenstände, Bilder auf Buchseiten, etc. einfach so wegwischen. Abgesehen davon gibt es auch darüber etliche Studien.
Aber ja, mein Talent liegt nicht so sehr bei der Auflistung von Argumenten oder gar wissenschaftlichen Beweisen. Vielmehr fordere ich den Rezensenten, ebenso wie eigentlich alle, dazu auf, Argumente zu bringen, die der Verdummungshypothese widersprechen! (natürlich wenn die Revolte gewährt). Ich denke, sie würden sich alle mit Leichtigkeit widerlegen lassen.
Zumindest ich halte daran fest, dass die Fehlleitung der fünf Sinne in eine solche Richtung, dass die Orientierung baldigens nur noch mithilfe von Geräten möglich ist, welche andere kontrollieren (aka. Programmiert haben), und von einem System der Kontrolle abhängig sind, dass das eine objektive Dummheit ist. Ein Aufgeben der eigenen Mündigkeit, eine Zersetzung der eigenen Intelligenz. Und das ist dumm.
Natürlich könnte man es ansonsten für gescheit halten, der Bequemlichkeit halber Geräte zu benutzen (was ja angeblich, aber wirklich nur angeblich, der Grund ihrer Beliebtheit sei), da Bequemlichkeit doch schon gescheit sein kann… ja. Aber nur, solange man dabei noch Kontrolle über das eigene Leben hat. Wer aber, um des bequemen Gadgets willen bereit ist, seine kümmerlichen Freiheitsreste aufzugeben, der ist wirklich komplett verblödet.
Aber ohnehin ist die Lage da etwas anders bestellt, handelt es sich doch bei der Smartifizierung um einen Prozess, der aufgezwungen wird (Motto: „Anschluss nicht verpassen“).
Zum Schluss noch das Stichwort: „Soziale Intelligenz“. Diese nimmt total offensichtlich rasant ab mit der Smartifizierung. Auch wenn sie sich schlecht messen lässt, ist es offensichtlich, dass die Leute sich im Cyberspace verlieren, und mehr und mehr nur noch auf vorprogrammierten Bahnen miteinander in Kontakt treten (und zwar ganz unmetaphorisch!). Studien über das Sex“leben“ der Leute sprechen da Bände. Und die „soziale Intelligenz“ ist doch mitunter das Wichtigste für uns, welche wir ein Leben auf freien menschlichen Beziehungen erstreben, und nicht „Beziehungen“ mit Maschinen.
Ausserdem frage ich mich, wieso der Rezensent von „schauriger Zukunft“ redet, so, als ob es sich um blosses Szenario handeln würde. Vielmehr müsste man sagen, dass der Text „Smarteres Gefängnis“ schon veraltet ist, da drei Jahre alt. „Widerstand“ reicht da nicht, und wer so tut, der lügt was vor. Vielmehr kann im smarten Gefängnis, das jetzt schon existiert!, in dem wir leben, nicht bloss Widerstand gegen ein Aspekt geleistet werden, das ist zwecklos, da vieles im einzelnen optional ist. Vielmehr müssen die Grundlagen angegriffen werden. Die Grundlagen der ganzen Zivilisation des Kapitals. Wer jetzt noch davor zurückweicht, und hofft, Jahr für Jahr die Dystopie in die Zukunft zu schieben, der trägt vielleicht auch nur zur Verwirrung bei.
PS: …abgesehen von all dem will ich behaupten, dass man doch „Natur“ und „Wildheit“ nicht definieren muss, wenn sie mit der smarten Technologie verglichen wird, der Gegensatz sollte da doch aus dem Stehgreif klar sein.