Delegation und Repräsentation

Die ideologischen Eckpfeiler der demokratischen Herrschaft

Die demokratische Gesellschaft, in der wir leben, basiert auf Delegation und Repräsentation. Wir geben ständig die Entscheidungen, die unser Leben fundamental betreffen, an alle möglichen Spezialisten und Politiker ab, die behaupten sie wissen am besten was für uns gut ist. Diese buhlen bei jeder Gelegenheit um unsere Wählerstimmen, geben vor, sie würden unseren Willen vertreten, uns repräsentieren innerhalb des großen übel riechenden Sumpfes der Politik. Von Kindheitsalter an werden wir daran gewöhnt, Entscheidungen an andere zu delegieren, daran dass wir nicht auf unser eigenes Urteil vertrauen können, da es andere gibt, deren Aufgabe es ist sich mit den Problemen zu befassen und die somit ein „besseres“, „qualifizierteres“, Urteil abgeben. Wir sollen uns damit abfinden, dass Andere besser wissen was gut für uns ist als wir selbst. All dies ist stark in unserem alltäglichen Handeln verankert, es hat sich tief in unser Verhalten eingenistet. Wir sollen den Glauben an uns selbst verlieren, den Glauben in unsere eigene Kraft und Fähigkeiten.

Aber du bist ja nicht machtlos! Du hast die Möglichkeit mitzubestimmen!“, suggeriert uns der Staat mit den Wahlen und Abstimmungen. Es darf abgestimmt werden, wer für die nächsten Jahre die gesetzgebende Macht haben soll, unser Leben regeln und verwalten soll. Wir sollen uns damit begnügen von Zeit zu Zeit den einen Speichellecker durch einen Anderen auszutauschen. Durch diese Form von Mitbestimmung sorgt der Staat dafür, dass wir nicht anfangen, selbst über unser Leben zu bestimmen, sondern wenn uns etwas nicht passt, wenn wir unzufrieden sind mit der Politik, wir dies als Fehler unseres Repräsentanten ansehen. Dann darf sich auch mal beschwert werden über diesen oder jenen Politiker. Auch Protest ist in der Demokratie erlaubt, es darf Druck auf die Politik ausgeübt werden sich doch mal gewissen Problemen zu widmen oder ihre Entscheidungen doch noch einmal zu überdenken. Das wichtige dabei ist – im Endeffekt bleibt es dabei – die Entscheidungen treffen andere Politiker, Spezialisten und andere Autoritäten. Ein gutes Beispiel hierfür sind Petitionen die alle möglichen reformistischen Gruppen immer wieder machen, um die Politiker von ihrer Sache zu überzeugen.

Dialog, demokratische Konfliktbewältigung, soziale Befriedung

Es wird behauptet, in der demokratischen Gesellschaft sitzen wir alle im selben Boot, wir seien eine Gemeinschaft, die das gleiche will. Daher muss es auch immer zu einem konstruktiven Dialog kommen, wenn Konflikte auftreten. Konstruktiver Dialog heißt dabei einen Kompromiss zwischen den Konfliktparteien zu finden, mit dem beide zufrieden sind. Der Konflikt zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Reichen und Armen wird befriedet und auf eine andere Ebene verschoben. Auch hier sind die Mechanismen von Delegation und Repräsentation entscheidend. Die Konfliktparteien senden ihre „Vertreter“ zu Verhandlungen. Die Konfrontation wird von ihrem tatsächlichen Terrain auf das Terrain der Politik erhoben. Die Akteure im Konflikt sind nicht mehr die Betroffenen selbst, sondern ihre politischen Repräsentanten. Und dann wird versucht, eine Lösung zu finden die beide Konfliktparteien zufriedenstellt. Ein gutes Beispiel dafür ist die österreichische „Sozialpartnerschaft“. Gewerkschaftsbonzen und Bosse verhandeln gemeinsam die Konditionen aus, unter denen die kapitalistische Ausbeutung reibungslos funktioniert.

Als Anarchist weise ich jeden Dialog mit den Autoritäten zurück, zwischen uns kann es zu keiner Einigung kommen, ebenso weigere ich mich, mich an der Politik zu beteiligen, Repräsentanten zu wählen und Interessen zu delegieren. Ich lehne die Vorstellung ab, dass jemand mein Interesse vertreten kann, meine Verlangen und Wünsche auszudrücken vermag. Niemand kann mich repräsentieren außer mir selbst! Ich kämpfe für eine Welt, in der jeder Souverän über sein eigenes Leben ist. In der es keine Personen und Strukturen gibt, die über mir stehen, die mir Gesetze aufzwingen und diese mit Gewalt durchsetzen, in der es weder Herrscher und Beherrschte, noch Ausbeuter und Ausgebeutete gibt.

Eigeninitiative, Selbstorganisation, direkte Aktion

Es ist klar dass die bestehenden Verhältnisse, der Alltag von kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Verwaltung, dem Profit und Machterhalt der Reichen und Mächtigen dienen. Da es als Anarchist mein Verlangen ist frei von Ausbeutung und Unterdrückung zu leben, stehe ich dem Staat und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung fundamental feindlich gegenüber. Ich möchte nach meinem eigenen Willen handeln individuell und gemeinsam mit anderen mit denen ich Interessen teile und diese triste Realität angreifen und zwar auf die Art und Weise, die nicht neue Herrschaft und Autorität schafft. Dehalb verweigere ich die Praxis von Delegation und Repräsentation nicht nur auf dem Gebiet der institutionalisierten Politik, sondern bekämpfe sie in jedem Aspekt des Lebens. So auch in der Art und Weise, wie ich mich als Revolutionär organisiere.

Aus diesem Grund schaffe ich nicht (wie die Revolutionäre der Linken) Organisationen, um „die Ausgebeuteten“ zu organisieren und zu repräsentieren. Ich schaffe keine Organisationen mit Programmen und Statuten, Komittees und so weiter. Diese Organisationsform führt lediglich zu neuer Herrschaft, da sie auf den Mechanismen von Delegation und Repräsentation beruht. Sie erstickt dadurch die Initiative des Einzelnen, der sich repräsentieren lassen soll und sich den Beschlüssen der Mehrheit, der Komitees, der Spezialisten,.. fügen. Wer in der Organisation ist, muss nach den Programmen der Organisation handeln. Diese Form der Organisation, die auch bei einigen AnarchistInnen beliebt ist, bewirkt genau das Gegenteil von dem was sie unter anarchistischen Gesichtspunkten tun sollte, sie schafft Hierachie und hemmt die individuelle Tat. Ich betrachte die Organisation nicht unter dem Gesichtspunkt der Quantität, der Masse, die sie repräsentiert. Ich möchte nicht möglichst viele Schäfchen sammeln. Ebenso wie ich es ablehne, repräsentiert zu werden, lehne ich auch ab, andere zu repräsentieren und sie dadurch ihrer Individualität zu berauben und Macht über sie auszuüben. Es geht mir um Qualität, um die freie Vereinigung von souveränen Individuen, darum den Drang zur eigenen Initiative und direkten Aktion zu realisieren. Die individuelle Initiative ist für mich die Grundlage der Anarchie, sie sollte sich in der Organisation frei entfalten können. Daher organisiere ich mich zusammen mit anderen mit denen ich gemeinsame Ziele habe, auf Grund meines eigenes Willens, zu einem bestimmten Zweck. Wir schaffen nicht eine Organisation, die erst quantitativ anwachsen soll, um dann zu überlegen wie wir weiter verfahren sollen. Ich organisiere mich mit Gefährten, um ein spezifisches Ziel zu erreichen oder ein Projekt zu realisieren. Ist dieser Zweck der Organisation erreicht, hat die Organisation keinen Grund weiter zu bestehen.

Das Mittel, das ich wähle, um in diese Realität einzugreifen, ist das der direkten Aktion. Die direkte Aktion verweigert die Delegation, sie wird ausgeführt von Individuen, die direkt eingreifen, sich nicht repräsentieren lassen, die ihre Mittel und Methoden selbst wählen und sich nicht in Programme zwängen lassen. Sie zielt auf die Zerstörung der bestehenden Strukturen der Herrschaft ab, um die Möglichkeit der Wiederaneignung des eigenen Lebens zu schaffen. Dies ist nur möglich, wenn diese Methode Verbreitung findet und das Bewusstsein sich verbreitet, dass wenn wir nicht – ob kollektiv oder individuell – gegen das Bestehende revoltieren und den Dialog mit den Autoritäten verweigern, alles beim Alten bleiben wird.