Versuch einer Erweiterung der Diskussion
In der letzten Ausgabe der Revolte (Juni 2018) wurde ein Diskussionsvorschlag veröffentlicht, der sich mit der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft und etwaigen Gipfelprotesten beschäftigt. Ich will auf diesen Vorschlag Bezug nehmen und die Diskussion um einige Punkte erweitern.
Die Frage ist, wie so oft, wollen wir gegen dieses Dreckspack etwas unternehmen, oder genügt es etwas getan zu haben? Das Problem ist, dass es für viele, die das lesen werden, auf den ersten Blick, keinen Unterschied gibt. Deshalb sollten wir uns etwas anstrengen und versuchen eine Differenzierung, zwischen hohlem Aktivismus bzw. Selbstdarstellung und einem subversiven, kontinuierlichen Projekt zu machen.
Ein Gipfel-Protest ist ein singuläres Ereignis. Wenn der Gipfel vorbei ist, gehen in den meisten Fällen alle nach Hause und klopfen sich entweder gegenseitig auf die Schulter, freuen sich, dass sie dabei gewesen sind und etwas gemacht haben oder sie gehen nach Hause und hoffen, dass die Repression nicht über sie hereinbricht. Eine Mischung aus beidem kann natürlich auch möglich sein.
Der Gipfel in Salzburg zu dem von unterschiedlichen Gruppen mobilisiert wird, wird am 22. September wieder vorbei sein, aber der Angriff auf unser Leben wird sich fortsetzen. Wir benötigen einen Plan was wir tun können und das in jeder Situation unseres Lebens. Wie konfrontieren wir uns mit der Herrschaft, was können wir tun? Ich mag das Wort Protest nicht, weil ich denke, dass der Protest lediglich ein Ausdruck von öffentlicher Unzufriedenheit ist, dem es aber im allgemeinen an einer konkreten Praxis gegen die jeweilige Form der ‚Ungerechtigkeit‘, Ausbeutung, etc. mangelt. Natürlich ist es möglich, dass der Widerstand gegen jene EU-Gipfeltreffen in Innsbruck oder Salzburg Teil eines größeren Projektes sein kann. Sie könnten Teil eines kontinuierlichen Kampfes gegen die Gesamtheit der sich verschlechternden Zustände und repressiven Entwicklungen und im allgemeinen gegen die seit jeher ungebrochene Ausbeutung, Kontrolle und Unterdrückung sein. Das ist aber bis jetzt nicht der Fall!
An den Geschehnissen, die beispielsweise die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg nach sich gezogen haben, sehen wir, dass für den Staat der Gipfel keineswegs ein singuläres Ereignis ist, nach dessen Ende man einfach nach hause geht. Für den Staat und die Bullen ist jeder Gipfel ein Terrain auf dem sie ihre repressiven Experimente machen können. Sie nutzen die Möglichkeit, um neue Taktiken zur Kontrolle und der Niederschlagung von Massenprotest und aufständischen Situationen zu exerzieren. Es folgen Einschüchterungen, Hausdurchsuchungen, eine Hetzjagd mit Hilfe jeder Form der telematischen und digitalen Instrumente die diesem Apparat zur Verfügung stehen, es wird versucht sich an möglichst vielen zu rächen, die mit Angriff, Konflikt und Enteignung experimentiert haben.
Den Gruppen und Individuen in der antagonistischen Bewegung in Österreich, fehlen die konkreten Projekte und die kontinuierliche Arbeit an einer Spannung gegen die Herrschaft. Das mag ein langwieriger und undankbarer Prozess sein, denn er hat nichts mit der Produktion von schönen radikalen Bildern und Identitäten zu tun, die sich selbst genügen. Er hat auch nichts mit politischer Repräsentation zu tun, denn auf solche Oberflächlichkeiten können wir uns nicht verlassen. Das heißt, wir müssen nach dem richtigen Terrain suchen, wo wir den Ton angeben können. Wir müssen uns die Spontaneität zu Nutze machen. Und zwar nicht in der Hinsicht, dass wir spontan von Kampf zu Kampf springen, sondern dass wir es schaffen müssen zum richtigen Zeitpunkt Akzente im sozialen Gewebe zu setzen um einen aufständischen Bruch zu erzeugen. Das Misstrauen und der aktive Widerstand gegen die Politik, das Kapital, die Arbeit, die Kontrolle, sprich gegen alle Formen von Autorität und Ausbeutung müssen gehegt und gepflegt werden. Das bedeutet, dass wir unsere Kritik und Methoden nicht nur auf diesen Großprotesten zur Schau tragen sollten. Davon abgesehen, dass die dort vorhandene Öffentlichkeit sowieso viel zu oft dazu führt, dass radikale Positionen abgeflacht werden, um im Rampenlicht von Medien und Öffentlichkeit legitim zu erscheinen und anerkannt zu werden. Stattdessen sollten wir versuchen überall im realen Leben, das nicht von den Linsen der Fernsehkameras und den gierigen Augen des Smartphones unter Beobachtung steht, das soziale Klima des Maulkorbs und der stillen Akzeptanz des Todes auf Raten mit der Subversion zu vergiften. Um die tägliche Routine zu unterbrechen und einen Raum zu eröffnen, der mit der Rebellion gefüllt werden kann. Diese Momente müssen sowohl durch unser Zutun begünstigt werden, genauso wie wir uns eine Mentalität aneignen müssen um uns innerhalb spontaner Ausbrüche bewegen zu können und deren Verlauf mitbestimmen und ausdehnen zu können.
Autonom zu handeln, also eigenständig zu sein, heißt auch sich seine Ziele, seine Wege und seine Rhythmen selbst zu geben. Wenn wir für irgendwelche Großveranstaltungen von Politik und Wirtschaft mobilisieren, dann hat das nur bedingt damit zu tun. Denn es ist ein Zeitpunkt, ein Terrain und oftmals auch eine Form des Kampfes die uns die Herrschenden setzen. Wir reagieren darauf mit Protesten, Inszenierungen und versuchen uns als Alternative darzustellen. Als diejenigen die moralisch betrachtet auf der richtigen Seite stehen. Ich halte von diesem ganzen Idealismus nichts mehr. Denn ich sehe hier keine Möglichkeit den Schatten der Politik abzustreifen und einen zerstörerischen Weg einzuschlagen.
„Was kann von den Treffen erwartet werden? Könnten sie Möglichkeiten der Revolte und des Tumults sein? Können sie den Widerstand gegen Schwarzblau entfachen? Bieten sie die Chance anarchistische Kritik an Politik, Herrschaft, Überwachung und am Regiert-werden im Allgemeinen theoretisch und praktisch zu verbreiten?“
Wir setzen Erwartungen in Großereignisse, die nicht die unseren sind. Der erfolgreiche Widerstand gegen diese Zusammenrottungen von Herrschaft und Ausbeutung ist eine Vorstellung in unseren Köpfen, die wir aus Geschehnissen an anderen Orten abgeleitet haben. Die „Möglichkeit der Revolte und des Tumults“ wird es geben, wenn es diejenigen gibt, die sich im Stande fühlen diese zu entfachen. Und seien wir uns ehrlich, es gehört nicht zum Repertoire der österreichischen GipfelgegnerInnen sich auf diese Art und Weise zu organisieren und anzugreifen. Ich wage es ebenfalls zu bezweifeln, dass die Gipfeltreffen „den Widerstand gegen Schwarzblau entfachen“ können. Denn der Anlauf, Widerstand gegen Schwarz-Blau anzustoßen, wurde in den letzten Monaten von unterschiedlichen Initiativen ergebnislos unternommen. Es hätte also bereits genug Möglichkeiten dazu gegeben. Es mangelt also nicht an den Möglichkeiten, sondern an der Initiative und einer konkreten Projektualität. Genauso wenig wie die Einführung des 12-Stunden-Tages, der Rassismus der Regierung oder die Ausdehnung der Überwachung für sich alleine etwas entfachen werden, sie müssen erst durch unser Zutun auf jenes Terrain geführt werden, wo es möglich ist die Autorität grundlegend in Frage zu stellen, sowie antiautoritäre und autonome Organisationsansätze zu erproben. Es sind diejenigen, die Impulse setzen können, die ihr Bewusstsein, ihre Lebensumstände und ihre Erfahrungen zu einer Waffe schmieden. All diese Geschehnisse sind lediglich Angriffe der Herrschaft auf die bislang unterschiedlich reagiert wurde. Und diese Dynamiken können womöglich einen Raum zur Intervention und der Verbreitung unserer Ideen aufmachen, aber sie sind nicht der Dreh- und Angelpunkt. Sondern lediglich Möglichkeiten innerhalb derer wir angreifen können, um auf eine Generalisierung hinzuarbeiten.
Als AnarchistInnen sind wir eine Minderheit. Das sollte uns allen klar sein. Wir, die wir das Leben auf eine andere Art auffassen als es uns täglich vorgemacht, propagiert und diktiert wird. Denn unsere Werte stehen der großen Massenbewegung unserer Zeit diametral gegenüber: dem Kapital. Der Kapitalismus hat den wichtigsten Trend geschaffen, nämlich den des bedingungslosen Konsums. Das ist der Trend unserer Zeit, das ist die Bewegung der Entfremdung vom echten Leben. Und dagegen kämpfen wir an. Deshalb sollten wir auch vom Konsum von Protesten, Diskussionen, etc. Abstand nehmen und endlich aktive Akteure unserer Lebensrealitäten werden. Wir müssen den Diskurs auf der Strasse bestimmen und die Isolation des Staates ausnutzen. Wir müssen die Akzente setzen, die die Ausgebeuteten und uns näher zusammenrücken lassen. Wir müssen Methoden zur Selbstorganisierung und des unmittelbaren Angriffs verbreiten. Das ist unsere Aufgabe als subversive Minderheit. Wir sind keine Anführer, keine Avantgarde, die auf die richtige Chance wartet. Wir wollen, dass diejenigen die täglich ausgebeutet werden, befähigt werden selbst zuzuschlagen und ihr Leben auf Basis antiautoritärer Grundlagen zu verteidigen.
Deshalb müssen wir uns über unsere Positionen und jene der Herrschaft bewusst sein. Wir müssen das gesamte Projekt der modernen Herrschaft ablehnen, nicht nur einzelne Teile davon. Das schließt nicht nur die Politik einer bestimmten Regierung mit ein, das schließt alle Formen der Unterdrückung und jegliche Entwertung des Lebens durch billige Zugeständnisse mit ein.
Klar kann ein Gipfel-Protest eine Möglichkeit sein. Ein gewalttätiges Experiment gegen die Herrschaft und deren KomplizInnen und VerteidigerInnen. Es kann eine Möglichkeit sein unsere subversiven Fähigkeiten zu schärfen und zu experimentieren. Aber gäbe es dafür nicht unzählige andere Möglichkeiten, die wir aktuell nicht ergreifen? Ich bin davon überzeugt, dass viele mit den besten Absichten nach Innsbruck und Salzburg fahren werden, dass die Leute vor Ort sehr viel Zeit und Energie in die Organisierung von Widerstand stecken werden. Es mag auch sein, dass sich Möglichkeiten der Konfrontation ergeben können, aber ohne eine subversive Basis, ohne das Terrain des autonomen Kampfes, können solche Experimente nicht von langer Dauer sein.
Die Salzburger Innenstadt entspricht in keiner Weise einem Gebiet auf dem wir KomplizInnen finden können. Sie entspricht viel eher der österreichischen Doktrin des Bürgers, der sich mit vollem Herzen mit der Herrschaft und ihren menschenverachtenden, brutalen und ausbeuterischen Projekten identifiziert. Hier gibt es für uns nur sehr wenig zu holen. Jede Form der Einmischung wird hier auf Unverständnis stoßen. Deshalb wird der Protest in Salzburg sich selbst genügen. Ein weiteres Datum im Bewegungskalender, dass danach abgehakt werden kann.
Wollen wir Bilder konsumieren, wollen wir Protest konsumieren und sagen können: „… ich war dabei. Ich hab das Möglichste getan, angesichts der Umstände.“ Oder wenden wir unsere Kraft auf, um neue Möglichkeiten zu schaffen, neue Terrains zu eröffnen, die fernab von der politischen Einflussnahme liegen, wo wir die Ereignisse bestimmen und nicht der Staat, die Bullen und die Gesellschaft ein genormtes, kontrolliertes Gebiet geschaffen haben, in dem den Flammen der Rebellion der nötige Sauerstoff fehlt, um sich zu entfalten.