38.000 Ermahnungen

zur Disziplinierung der Gesellschaft

Wir haben in der Revolte Nr. 23 vom November 2017 über die Einführung des Sicherheitsteams der Wiener Linien berichtet. Nach einem Jahr ziehen die Wiener Linien ihr Resümee über den Einsatz. Wir auch…

38.000, so viele Ermahnungen haben die Mitarbeiter des neuen Sicherheitsteams der Wiener Linien seit Herbst 2017 ausgesprochen. Am häufigsten wären sie bei Hunden ohne Maulkorb und Leine, gefolgt vom Verbot, am Bahnsteig mit Rädern und Scootern zu fahren, und unerlaubtem Betteln, also Verweisen auf das Bettelverbot, eingeschritten. Danach kamen Verstöße gegen das Rauchverbot, das Alkoholverbot oder dem Ein- und Aussteigen nach dem Abfertigungssignal. So das vorläufige Resümee nach einem Jahr Einsatz. Bitte was??? Die Wiener Linien führen also ein Security-Team ein, um HundebesitzerInnen abzumahnen, um Bettlern am Oasch zu gehen und aufzupassen dass keiner raucht? OK? Gut zu wissen, was die Wiener Linien unter ‚Sicherheit‘ verstehen. Außerdem soll künftig das ‚Essverbot‘ ein weiterer Schwerpunkt werden. Krieg ich dann einen Strafzettel wegen ‚unerlaubtem Kebap fressen‘?

Was von den Wr. Linien als „Einhaltung der Hausordnung“ bezeichnet wird, ist nichts anderes als Disziplinierungsmaßnahmen im öffentlichen Raum, damit die Orte wo wir auch andere Menschen treffen noch steriler, abgeklärter und entschärfter werden. Damit wir möglichst verlernen uns um unsere Probleme und Konflikte selbst zu kümmern. Damit wir möglichst viele unserer Umgangsformen mit anderen an irgendwelche Spezialisten in Uniform abgeben, die die Dinge für uns, aber vorallem auf ihre Art und Weise für uns erledigen.

Und weil sich die Stadt Wien und mit ihr die Wiener Linien als wichtigster Verkehrsbetrieb gerne damit rühmen wie sicher sie sind, werden in Zügen und Stationen seit einem Jahr Sicherheitsmitarbeiter eingesetzt. Derzeit sind 60 dieser Idioten im Einsatz und bis Ende 2019 sollen es doppelt so viele sein. Im ersten Jahr gab es, wie bereits erwähnt, 38.000 Ermahnungen, also umgerechnet über 100 Verstöße pro Tag. Eine weitere Maßnahme, um das Security-Team noch effektiver einsetzen zu können und ihre Funktion als Überwachungs- und Disziplinierungsorgane noch weiter ausschöpfen zu können, ist die in den nächsten Monaten geplante Ausstattung mit Bodycams, „um eine deeskalierende und abschreckende Wirkung zu erzielen“. So teilen das offizielle Stellen mit. Über den Einsatz von Bodycams bei Bullen und Mitarbeitern der ÖBB (Österreichische Bundesbahnen) wurde in verschiedenen anarchistischen Publikationen aus Wien schon einiges geschrieben. So sind nun die Wiener Linien eine weitere Institution, die in diesem Bereich der Kontrolle nachzieht und dieses technische Mittel zum Einsatz bringt.

Die Kameraüberwachung wird in Wien immer weiter ausgebaut. Diese Aufrüstung der öffentlichen Überwachung und Kontrolle startete 2007. Mittlerweile gibt es in allen 109 Stationen Kameras. 2500 sind es zur Zeit. Weitere 10.000 zeichnen in Bussen, U-Bahnen und Straßenbahnen auf. Dafür haben die Wiener Linie im Jahr 2018 900.000 Euro investiert. Wenn die Bullen innerhalb von 48 Stunden keine Videoüberwachung anfordern, werden die Bilder automatisch überschrieben, das sagen zumindest die Wiener Linien…

Diese Entwicklungen sind symptomatisch für eine Gesellschaft, die sich zunehmend nach allen Seiten abschottet. Um möglichst viele Konfliktfelder zu beseitigen, die zu einer Störung der täglichen Routine und der gewohnten Abläufe führen könnte. Deshalb muss das öffentliche Territorium, in diesem Fall der Hoheitsbereich der Wiener Linien möglichst flächendeckend mit der Überwachung in Form von Kameras in Zügen, Stationen und in Zukunft auch direkt am Personal angebracht, überzogen werden. Die Technisierung ist ein wichtiges Instrument, ohne die Technologien zur Überwachung und Kontrolle wären die Herrschenden nichts. Viele werden jetzt denken, dass diese ganze Sache mit den Wiener Linien zwar nervig ist, aber doch ganz schon übertrieben, sich damit überhaupt zu befassen. Dazu sei angemerkt, dass diese Entwicklungen selbstverständlich nur ein kleiner Teil sind. Aber sie sind ein kleiner Teil eines sehr viel größeren Mosaiks der Herrschaft und Kontrolle, das sich jeden Tag weiter und rücksichtsloser in unserem Leben bzw. unseren Lebensräumen ausbreitet. Doch wer sich so schamlos über das Leben anderer hinwegsetzt und das auch noch überall präsentiert, der bietet auch Angriffsfläche…