Was den organisatorischen Anspruch unter AnarchistInnen betrifft, so bin ich der Meinung, dass wir mehr Anstrengungen in den Aufbau von Affinität setzen sollten. Affinität, verstanden als eine weitgehende Überschneidung von Vorstellungen, über Inhalte und Praxis, über Methoden und Ziele.Um auf einer Basis von Vertrauenund einem gegenseitigen Wissen übereinander, sowie einem maximalen Maß an Verantwortung überein zu kommen.Dies ist die Grundlage, um gemeinsame Projekte zu entwickeln. Ich meine damit eine persönliche Verbindung zwischen einzelnen oder mehreren AnarchistInnen. Ich meine damit keine Kollektive, Gruppen, Organisationen, etc. in denen man für eine bestimmte ideologische Betrachtung heran erzogen wird, wenn man ‚beitritt‘. Was in den meisten politischen Zusammenhängen, auch vielen linksradikalen und anarchistischen, leider der Fall ist.
Auf dem Weg zur Affinität könnten viele Probleme und Augenblicke der Hierarchisierung bereits eliminiert werden. Denn wenn ich mit einer anderen Person unter anderem Analysen und Vorgehensweisen teile, so verfügen wir über ein zwischenmenschliches Verhältnis, das uns befähigt gewisse Dinge gemeinsam zu tun. Wenn wir bestimmte Vorstellungen zu Solidarität, Horizontalität und Ethik teilen, sind bereits eine weitgehende gegenseitige Wertschätzung und Respekt entstanden. Dieser konkrete Organisationsvorschlag dient einem einzigen Grund: Zusammen zu kämpfen! So muss die Affinitätsgruppe mit einem Projekt ausgestattet sein, das in Richtung eines aufständischen Ziels weisen kann.
Sich mit ‚anderen‘ zu organisieren, bringt uns einen Schritt weiter. Es bedeutet, dass wir uns mit einem konkreten Projekt und der Vorstellung von einer Kampfmethodik, in ein Spannungsverhältnis begeben. Die Orientierung auf ein bestimmtes Ziel, in Zusammenhang mit antiautoritären Methoden, macht Schluss mit den kleinen Unannehmlichkeiten, die große Organisationen mit sich bringen, wenn sie versuchen gemeinsame Regeln aufzustellen. Die Unterschiedlichkeiten dürfen nicht in ein vorgegebenes Korsett gepresst werden, anstatt dessen sollten sich verschiedene Initiativen individuell entfalten können, während aber dennoch eine kollektive/informelle Projektualität vorgeschlagen wird. Das bedeutet, dass wir es viel interessanter finden, mit anderen Ausgebeuteten, auf der Grundlage eines bestimmten Kampfes oder eines bestimmten Spannungsverhältnisses, zusammen zu kommen. Um unsere Vorschläge im Kontext einer realen Situation zu verbreiten. Was nicht bedeutet, dass die kontinuierliche anarchistische Agitation nicht auch wichtig wäre, diese kann Ideen geben und Standpunkte erklären und unterstützen. Aber sie kann keine gleichwertige Gegenseitigkeit herstellen.
Und wie du die Problematik, sich mit anderen zu organisieren, Bezug nehmend auf den Text ‚Improvisieren‘, schon angesprochen hast: Wie sollen wir uns mit anderen organisieren, wenn nicht auf der Basis der Toleranz? Die Organisierung mit anderen Unterdrückten muss ziel- und aktionsorientiert sein. Und dafür benötigen wir eine konkrete Projektualität. Wir müssen wissen was wir tun wollen und was wir damit erreichen wollen. Es geht nicht um eine statische Organisation, in die man möglichst viele Individuen integrieren will, um gemeinsam nach Kompromissen zu suchen. Es geht um keine Organisation der Organisation willen. Und es geht auch nicht darum, neue Freunde zu finden, mit denen man möglichst viele Ansichten teilt. Das ist, denke ich, auch gar nicht notwendig.
Um auf dein Argument zurück zu kommen, dass es der Zeitung an jeglichem Bezug zu zwischenmenschlichen Beziehungen mangelt. Es stimmt nicht, dass in dieser Publikation nicht über zwischenmenschliche Beziehungen geschrieben wird. Es geht sogar sehr oft darum, nur vielleicht nicht auf die Art und Weise die du gerne hättest, das gebe ich zu. Denn die Frage der Organisierung ist eine zwischenmenschliche Frage. Wie ich mit anderen zusammen kämpfen will, ist eine zwischenmenschliche Frage. Und darüber wurde in dieser Publikation schon einiges geschrieben. Natürlich ist diese Publikation nicht fähig, über jede Form von Herrschaft, in einer absolut vertieften Form zu reflektieren, da sie die Abbildung eines konkreten Projektes ist. Aber der Aufbau von horizontalen/anti-hierarchischen, autonom agierenden und mit einem subversiven Projekt ausgestatteten Kleingruppen, ist ein zentraler Anspruch, den wir hier immer wieder vertreten haben. Und das ist definitiv eine zwischenmenschliche Frage.
Um unsere Position zu dem was du, als „herrschaftliche Strukturen gegenüber nicht-männlichen Menschen“ bezeichnest, darzulegen. Ich denke du meinst damit die verschiedenen Kritikpunkte und Kämpfe, wie sie von (queer)feministischen Gruppen und Individuen bekräftigt werden. Selbstverständlich sehen wir im Patriarchat ein wichtiges Unterdrückungsverhältnis, das es zu analysieren und anzugreifen gilt. Das diese Fragen in unserer Publikation weniger stark behandelt werden, bedeutet keineswegs, dass wir sie als unwichtig erachten. Ich denke aber, dass die „Vereinzelung und Vereinsamung“ nicht durch die richtigen Artikel in einer anarchistischen Zeitung durchbrochen werden, sondern durch gemeinsame Diskussionen, das Kennenlernen von neuen, potenziellen MitstreiterInnen und der Suche nach Affinität, die niemals enden wird und sich stetig ändert. Dass wir unterschiedliche Motivationen haben, um gegen die Herrschaft zu kämpfen, sehen wir aber nicht per se als Nachteil. Denn in vielen Situationen können sich unterschiedliche Formen der Auflehnung und Kritik, auch gegenseitig begünstigen und ergänzen.
Die Vorstellung, dass es lediglich perfekt reflektierten RevolutionärInnen möglich sei, aufständische Momente zu entfesseln, hat sich in der Vergangenheit unzählige Male als fataler Trugschluss herausgestellt. Dass wir auch in Zukunft vor der Möglichkeit von Aufständen, Revolten und anderen Gewaltausbrüchen und Erhebungen stehen werden, ist aber keine Frage des ‚ob‘ sondern des ‚wann‘ und ‚wie‘. Wir müssen uns eingestehen, dass wir als subversive AnarchistInnen eine Minderheit sind. Wir werden uns also von der romantischen Vorstellung verabschieden müssen, dass wir das zentrale Element in einer Situation sein werden, in der sich ein Riss in der Oberfläche der herrschenden Ordnung auftut, nur weil wir die ganze Zeit davon reden. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass nicht wir es sind, die als erste dem Signal eines Aufstandes folgen werden. An einer konkreten Praxis zu diesbezüglichen Ereignissen mangelt es uns und das in vielerlei Hinsicht, unter anderem auch ‚moralisch‘. Was nicht bedeutet, dass sich diese Möglichkeiten sowieso automatisch ergeben werden und wir aufhören sollten, aktiv zu versuchen den Widerstand gegen die herrschende Ordnung anzustacheln. In jedem Fall sollten wir aber fähig sein, zu versuchen, durch Agitation, Aktion und dem Vorschlag konkreter Organisationsmethoden, entstehenden Kämpfen einen subversiven, selbstorganisierten und antiautoritären ‚turn‘ zu geben. Das kann unser Beitrag sein, aber darauf müssen wir uns auch vorbereiten. Aus diesem Grunde dürfen wir auch nicht aufhören unsere Positionen und Vorschläge zu wiederholen. Beharrlichkeit, die Suche nach Kohärenz und die Entwicklung einer Kontinuität müssen begleitende Elemente sein.
Deshalb wird es nötig sein unsere Umgebung nach KomplizInnen zu durchsuchen. Nach jenen auf die Suche zu gehen, die dazu tendieren, unsere Ansichten von subversivem Handeln und Selbstorganisierung zu teilen. Das erfordert eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit des Territoriums, den Implikationen der Geschichte; wir müssen lernen die vorherrschende Mentalität zu erforschen, zu verstehen und zu dekonstruieren; alle möglichen sozialen, politischen und ökonomischen Aspekte müssen mit einbezogen werden. Und natürlich spielen auch die Verhältnisse von Geschlecht, Sexualität und patriarchaler Ausbeutung eine wichtige Rolle. Aber es kann nicht Aufgabe eines einzelnen Projektes sein, sich allen diesen Aufgaben zu stellen. Das ist nicht möglich. Jeder subversive Kampf muss, ausgehend von seinem eigenen Projekt, langfristig die allgemeine Befreiung von allen Zwängen beinhalten. Das muss auch innerhalb des Kampfprojektes formuliert werden. Wenn dies nicht der Fall ist, so bleibt er dazu verdammt ‚selbstreferenziellen‘ Charakter anzunehmen und in seinem eigenen Ghetto zu verkümmern.
Soweit sind das einige fragmentarische Vorschläge, die wir hier darstellen wollten. Es gibt aber keine Allgemeinrezepte. Wir wollen weder irgendwelchen Personen, noch Ideologien, noch starren unveränderbaren Handlungskonzepten huldigen. Wir denken, dass unsere Handlungen und Analysen sich mit der Realität konfrontieren müssen. Nur wenn wir die realen Grundlagen lernen zu erforschen, um auf diesem Territorium ein Kampfkonzept zu entwickeln, können sich Möglichkeiten auftun die tägliche Routine von Ausbeutung, Unterdrückung und Kontrolle, zumindest für einen begrenzten Zeitraum auszusetzen. Verschiedene Konzepte und Organisierungsvorschläge können uns wohl dabei helfen, einen Modus von zwischenmenschlicher Interaktion zu finden, sie sind aber zum Scheitern verurteilt, wenn wir ihnen blindlings folgen, ohne die Eindrücke unserer Umgebung mit einzubeziehen.
Zuletzt will ich noch bemerken, dass hier auf keinen Fall der Eindruck entstehen soll, dass alle angesprochenen Methoden und Vorschläge vollkommen erforscht sind, oder dass wir vorgeben wollen, Experten für irgendetwas spezielles zu sein. Diese Standpunkte sind in sich selbst nicht abgeschlossen. Wir sind weit davon entfernt, diesbezügliche Erfahrungen auf adäquate Weise gemacht zu haben. Wir denken aber, dass die besprochenen Methoden und Kritikpunkte am ehesten dem entsprechen, was wir unter einem subversiven Anarchismus verstehen.