Wahrheit und Lüge

Einige Klarstellungen zu Revolution, Aufstand, Manipulation und Macht…

Seit jeher sind Lüge und Intrige zur Erhaltung oder Ergreifung der Macht über ein bestimmtes Territorium, eine Gruppe oder ‘Organisation’ fester Bestandteil der Politik. Wir sehen diese Taktik im Kontext von Wahlen; (Bürger)kriegen; Krisen von ökonomischer, politischer oder sozialer Natur; etc. Sie ist eine der stärksten und effektivsten Waffen des ‘politischen Kampfes’.

Doch was verstehen wir überhaupt unter dem ‘politischen Kampf ’? Unter politisch­em Kampf verstehen wir jenen Kampf, dem es um die Ergreifung der politischen Macht innerhalb einer Institution, einer sozialen Gruppe oder eines bestimmten Territoriums geht. Also der Erkämpfung einer Vormachtstellung, eines Privilegs. Der politische Kampf kann sich auf unterschiedlichen Ebenen manifestieren. Es reicht über das ‘Politik machen’ eines Politikers oder politischen Repräsentanten hinaus, und macht selbst vor jenen nicht halt, die sich in der Öffentlichkeit als ‘freiheitsliebend’, ‘revolutionär’ und ‘selbstlos’ präsentieren. Selbst eine Partei oder Organisation ist nicht unbedingt notwendig um einen politischen Kampf zu führen. Das Scheitern vieler Revolutionen und die autoritären Systeme, die aus ihnen hervorgegangen sind, hat mit dieser Tatsache zu tun. Es ist jene Logik, die zur Geschichte der Menschheit gehört wie das Amen im Gebet. Nämlich, dass zu jedem Zeitpunkt des (Um)bruchs die Herrschaft sich neu zu manifestieren beginnt, um die Autonomie, die Selbstentfaltung und Selbstorganisierung der rebellierenden Individuen aufzuhalten, zu zerstören und im Blut zu ertränken.

Wenn wir Anarchisten von Revolution sprechen dann meinen wir nicht die Machtergreifung in einem bestimmten Territorium. Es geht uns um die Zerstörung der Herrschaft. Es geht uns um die Abschaffung der Klassenverhältnisse und von jeglichem Autoritätsprinzip. Wenn wir von Selbstorganisierung sprechen, dann meinen wir nicht den Aufbau einer Organisation, die wir als Avantgarde anführen können. Wir wollen keine Massenbewegung, die eine revolutionäre Elite zum Sieg tragen kann. Es geht uns um ein horizontales Kampfkonzept, das auf Unabhängigkeit von jeglicher politischer Einflussnahme durch Parteien und Kapital und der direkten Konfrontation mit diesen beruht. Als anarchistische Minderheit geht es uns um eine Kooperation mit anderen Ausgebeuteten um zu einer sozialen Erhebung, zum Aufstand zu gelangen.

In Österreich leben wir fern von jedem Hinweis auf einen revolutionären Umsturz der Machtverhältnisse. Fast scheint es absurd, hier von Revolution oder Aufstand zu reden. Das paranoide Verhalten der Machteliten überträgt sich auf die Menschen in diesem Land fast automatisch. Die Ausgebeuteten selbst sind es, die nach mehr Kontrolle und Unterdrückung verlangen. Meist aus Angst vor den Fremden oder aus Angst vor der großen Pleite. Und das obwohl, oder vielleicht gerade weil es den Meisten in den letzten Jahrzehnten an nichts gefehlt hat. Zumindest in Relation zu anderen Orten, wo seit geraumer Zeit die Lebensgrundlagen immer schlechter werden oder nie ein halbwegs menschenwürdiges Leben zugelassen hätten.

Alle schimpfen über die Politik. Doch als einzige Möglichkeit, ihre Lebensumstände zu ändern, sehen die meisten Mitteleuropäer den Prozess der Repräsentation. Also das Mittel der Wahl eines politischen Repräsentanten, der die Arbeit für sie erledigt. Ohne zu begreifen, dass sie innerhalb des selben Rituals verharren: Dem Abgeben ihrer Verantwortung an eine andere Person beziehungsweise eine Gruppe von Personen. Und sagen wir es ganz offen, im Wahlkampf gibt es keine Wahrheit, sondern lediglich Manipulation. Diejenigen, die die besten Versprechen geben können, die WählerInnen am besten manipulieren können und die besten Intrigen gegen den politischen Feind spinnen, werden am Ende gewinnen. In der Demokratie sind die Aussagen und Versprechen der politischen Parteien zu bloßen Meinungen geworden, die als absolute Wahrheiten verkauft werden. Viele denken, dass diejenigen die an die Lügen einer FPÖ glauben, wohl zum dümmsten Abschaum gehören, den die Menschheit je hervorgebracht hat. Zum Teil mag das schon stimmen, wenn wir uns ein ausgewachsenes Exemplar eines solchen Paradeösterreichers anschauen. Ich denke dennoch, dass der Hund wo anders begraben liegt. Warum finden die Menschen in diesem Land keine andere Perspektive als denjenigen in die Hände zu spielen, die die autoritärsten Lösungen anbieten? Die Antwort ist einfach: Weil sie es immer schon getan haben. Sie haben sich immer schon von der Politik manipulieren lassen. Besonders wenn die Feindbilder allgegenwärtig sind. Wir sehen dieses Verhalten eher als politische Kontinuität.

Wenn wir uns die Geschichte unseres kleinen Landes im Herzen von Europa ansehen, so tragen die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seit jeher das Siegel der Autorität. Eine antiautoritäre/anarchistische Arbeiterbewegung oder Tradition, wie sie in anderen Gegenden eine Rolle gespielt hat und immer wieder den Vorschlag der Revolte, der Autonomie und der Selbstverwaltung der Kämpfe vorgeschlagen hat, hat in Österreich nur sehr marginal existiert. Nach einer turbulenten Zeit in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, in der anarchistische und sozialrevolutionäre Tendenzen stärkere Verbreitung fanden als die gemäßigte, zum Teil reaktionäre Sozialdemokratie, setzte eine Phase der Vernichtung jeglicher Idee der Freiheit ein. Mit der Unterstützung der Reaktion, in Form der Habsburgermonarchie, wurde die Sozialdemokratie zum einzigen Repräsentanten der Arbeiterklasse erhoben. Für den radikalen Teil der Arbeiterbewegung, die Anarchisten, die Sozialrevolutionäre, und alle diejenigen, die nicht an den reformistischen Segen von Parteibonzen glaubten und lieber den Weg der direkten Konfrontation und des sozialen Umsturzes gehen wollten, blieb nur der Knast, das Exil oder der Rückzug. Mit der Forderung nach dem Wahlrecht und der sozialen Absicherung hat die Sozialdemokratie den Ausgebeuteten die Hirne weichgewaschen, so wie die FPÖ heute mit ihren Forderungen nach ‘Basisdemokratie’ und ‘Volksbefragungen’, unter dem Vorwand der Mitbestimmung versucht, die Leute zu ködern. Und diesen Vergleich finden wir gar nicht so unpassend, denn setzt sich die heutige Wählerschaft der FPÖ doch zu einem großen Teil aus jenen zusammen, die zur Stammwählerschaft der SPÖ gehörten. Die Manipulation ist also kein Rezept einer einzelnen Partei sondern gehört zur Politik.

Monarchien, zwei Weltkriege, Faschismus, Nationalsozialismus, Bolschewisten, Stalinismus, Sozialdemokratie, Konservative, Liberale, Rechtspopulisten und Neue Rechte haben Jahrzehnte lang Jagd auf alle Ideen der Freiheit und Auto nomie gemacht. Sie alle führten und führen einen politischen Kampf der sich lediglich um die Machtübernahme dreht. Als Anarchisten wissen wir also, wenn wir unsere eigene Geschichte betrachten, seit über 100 Jahren, dass der Feind sich in allen politischen Systemen verbirgt, die an die Macht wollen. Alle Parteien, die regieren wollen, jegliche Avantgarde und Organisation, die sich an die Spitze der Revolution setzen will, alle Repräsentanten, die Versprechungen machen, alle politischen und religiösen Führer. Und wenn wir uns die Geschichte der Menschheit anschauen dann wissen wir, dass es immer schon ein Streben nach Macht gegeben hat. Wir wissen aber auch, das es immer schon den Widerstand und den

Kampf dagegen gegeben hat. Dass es immer schon Individuen gab, die sich gegen die Zwänge aufgelehnt haben und die zu allen Zeiten den Verführern der Politik die Maske vom Gesicht gerissen haben. Denn auch die Rebellion gegen die Autorität ist Teil der Geschichte und nicht nur das Streben nach Macht.

In Zeiten, in denen der Glaube an die sozialdemokratisch­konservative Herrschaft immer mehr bröckelt, versucht das Kapital die Produzenten autokratisch zu verwalten, denn sonst würden sie viel leicht auf die alten Spuren der Revolte und Selbstverwaltung der Kämpfe zurückfinden. Der Nationalismus ist nichts anderes als eine Ersatzreligion für diejenigen, die sich mit ihrer Rolle als Produzenten zufrieden geben, solange sie nur von einem der ihrigen regiert werden. An dieser Stelle können wir nur eine alte Weisheit wiederholen, die wir als Anarchisten vertreten: Die politische Macht frißt alles Eigenleben, wie die Technik der modernen Wirtschaft die Seele des Produzenten frißt. Und daran ändert kein Nationalismus etwas. Auch keine Religion oder politisches System. Und genau aus diesem Grund sind wir gegen jede Autorität und jede politische Macht. Wir wollen die Macht nicht übernehmen, sondern die Herrschaft zerstören. Denn sie ist die Grundlage für die kapitalistische Ausbeutung, die Klassenhierarchie, die Kontrolle und Überwachung, der Spaltung und des sozialen Kannibalismus unter den Ausgebeuteten, des grassierenden Rassismus und der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.

Unser Vorschlag ist einfach und ohne Kompromiss:

Autonomie und Selbstverwaltung in all unseren Kämpfen. Gegen die Politik in allen ihren verlogenen Formen. Keine Spaltung der Ausgebeuteten durch Rassismus, Privilegierung und

Nationalismus. Mögen Solidarität und Subversion unsere leitenden Motive sein!