Die EM 2016 in Frankreich
Mitte Juni beginnt die EM in Frankreich. Ein spektakuläres Großereignis in angespannten Zeiten. Islamistischer Terror, Ausnahmezustand und soziale Kämpfe gegen das „Loi Travail“. Waren es im Alten Rom „Brot und Spiele“ um die Massen zu befrieden sind es heute „Krümel und Fußball“. Ob das ausreicht, wird sich zeigen.
Herrschaft beruht nicht nur auf Gewalt und Drohungen, auf Folter und Erpressung sondern auch auf einem Konsens zwischen Regierenden und Regierten – dem sozialen Frieden. „Ihr sorgt für uns, dafür revoltieren wir nicht“, könnte dabei das Motto der Untertanen lauten. Das heißt, Herrschaft fußt auch auf Akzeptanz und freiwilliger Knechtschaft der Regierten. Diese kommt nicht aus dem Nichts, sie wird einerseits erzwungen und andererseits erkauft. Erkauft wird sie mit „Brot und Spielen“, mit Spektakel. Dabei ist das Ziel ein gefüllter Magen und eine beschäftigte Phantasie. Mehr brauchen die Staaten oft nicht zu garantieren um sich der Loyalität ihrer Schäfchen zu vergewissern.
Seit Jahrzehten erfüllt diese Funktion, nebst unzähligen anderen Sportevents, vor allem der orgranisierte spektakuläre Fußball. Er dient als vermeintliche Gemeinschaft – von Zusehern – in Zeiten der sozialen Isolation und Vereinzelung. Er befriedigt effektiv ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Loyalität und sorgt dafür, dass die Wut der Ausgebeuteten sich in die Stadien kanalisiert anstatt das sie sich gegen die Verhältnisse richtet. Bissig formuliert könnte man sagen:„Im Stadion rufst du, in der Arbeit kuscht du“.
Neben der Befriedungsfunktion, haben sportliche Großveranstaltungen jedoch noch zwei weitere Funktionen. Sie dienen erstens der repressiven Restrukturierung und dem Zugriff des Kapitals sowie zweitens als Motor zur Stärkung und Verbreitung des Nationalismus. Schauen wir uns das etwas genauer an.
Im Rahmen einer WM oder EM werden unter den neutral klingenden Begriffen bauliche Maßnahmen die Ausrichtungsstädte repressiv umgestaltet. Und das nicht nur temporär wie die Events, sondern nachhaltig. Wir erinnern an die EM 2008 in Österreich. In diesem Jahr wurde nicht nur das Polizeigesetz verschärft, also höhere Strafen für diverse Delikte eingeführt, sondern auch die Überwachung in den Städten enorm ausgeweitet. Gerechtfertigt wurde dies mit der Sicherheit, mit Hooliganhorden, die in Wien, Klagenfurt, Innsbruck und Salzburg einfallen würden. Zur Veranschaulichung: Vor der EM gab es z.B. im Wiener Museumsquartier keine Kameras, genauso wie generell die Kameradichte um einiges geringer war. Das Event „EM 2008“ ging vorbei, die Kameras blieben.
Ein weiteres Beispiel ist Brasilien. 7 neue Stadien wurden für die WM 2014 aus dem Boden gestampft und 5 renoviert. Teilweise wurden dort lediglich 4 Spiele abgehalten. Einige der Stadien wurden gezielt in Favela-Gebiete (Slums) gebaut. Dabei ging es darum die Autonomie in den Favelas zu brechen und den Zugriff des Kapital auf den Boden, der oft noch sehr zentral gelegen ist, zu garantieren. Weiters, bis kurz vor der WM gab es in ganz Brasilien massive soziale Proteste, diese wurde bis kurz vor Anpfiff geduldte, dann wurden sie brutal niedergeschlagen, damit wir alle ungestört „schöne Spiele“ genießen konnten.
Die zweite Funktion von Sportgroßevents ist das Kultivieren des Nationalismus. Seit 13 Jahren das erste mal wieder, werden „unsere Burschen“ dieses Jahr zur EM geschickt. Dort duellieren sie sich mit den Burschen anderer Nationen. Und WIR fiebern mit ihnen. Ein konstruiertes und absichtlich geschürtes WIR, das in uns die nationalen Gefühle verbreiten soll. Wobei diese nationalen Gefühle in Krisenzeiten als Kitt dienen, um die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten. Als Basis um nach unten und außen zu tretten, während im inneren die Ausgebeuteten und die Ausbeuter Seite and Seite, Fahnen schwenkend, für die Nation, in unserem Fall für das gelobte Österreich, marschieren. Das Erstarken des Nationalismus kommt nicht aus dem nirgendwo, es wird bewusst geschürt. Durch Kampagnen wie jene des Schundblatts „Österreich“, durch Parteien, die Nationalismus als Vehikel verwenden und natürlich auch durch ideologische NationalistInnen. Und die EM kommt da gerade recht.
Die EM in der gegenwärtigen Situation in Frankreich
Schon seit März wird der französische Staat von sozialen Unruhen erschüttert. Diese drücken sich aus in Demonstrationen, Straßenschlachten, Plünderungen, Sabotagen und gezielten Angriffen gegen Strukturen der Ausbeutung genauso wie durch Platzbesetzungen, Flugblätter, Zeitungen, Plakate und Diskussionen. Auslöser war ein neues Gesetz, das „Loi Travail“, welches die sozialistische Regierung durchdrücken will. Dieses Gesetz würde viele Errungenschaften früherer Arbeitskämpfe auflösen und die schon beschissenen Lebensbedinungen für viele noch unsicherer machen. Im Kern sieht das Gestzt eine leichtere Kündbarkeit der ArbeiterInnen vor. Was damit begründet wird, dass dies die Wirtschaft angekurbeln würde.
Das Vorhaben dieses Gesetz einzuführen hat den sozialen Frieden ins Wanken gebracht. Für uns, die keinen Frieden mit den Ausbeutern, sondern ihr Ende wollen, bleibt zu hoffen, dass er zerbricht. Dass immer größere Teile der Bevölkerung es zurückweisen, regiert zu werden und dass der Kampf über die Abwehr eines neuen Gesetzes hinausgeht, dass sich die Unruhen zu einem Aufstand generalisieren.
Anfangs wurden die Unruhen vor allem von der Jugend getragen. Von der Jugend, weil dieser klar ist, dass die meisten von ihnen niemals den Lebensstandard ihrer Eltern auch nur ansatzweise erleben werden, dass sie die überflüssigen Kinder des Kapitals sind. Woraus sie richtig schlussfolgern: ein elendiges Leben oder Revolte. Mittlerweile sind auch immer mehr Gewerkschaften und alle möglichen AkteurInnen beteiligt – dass viele von ihnen Politikanten sind, die aus der Welle des Unmuts politisches Kleingeld schlagen wollen, liegt dabei auf der Hand. Auch auf der Hand liegt die Rolle der Polizei, die sehr deutlich demonstriert hat was für eine Rolle sie spielt: die des Kettenhundes der Herrschenden.
Es ist zu erwarten, dass der französische Staat entweder versuchen wird die Unruhen mit aller Gewalt zu unterdrücken, je näher der Anpfiff der EM rückt. Oder mit Abstrichen und Zugeständnissen das Gesetz doch noch durchzusetzen, dabei die Wut zu bremsen und wieder in institutionelle Bahnen zu lenken. Das wird sich die nächsten Tagen und Wochen entscheiden.
Was heißt das für uns, hier im befriedeten Östereich? Hier wo die Menschen seit der Sozialpartnerschaft vor 40 Jahren das Kämpfen verlernt haben. Einem Territorium, wo die Bosse die ArbeiterInnen dermaßen verarschen können, dass es sich die Wirtschaftskammer ohne Angst traut vor dem ersten Mai: „Was wäre der Tag der Arbeit ohne die Arbeitgeber?“, zu plakatieren. Wo ein Gesetz nach dem anderen die Lebensbedinungen verschärft und dies alles nur auf minimalen Widerstand stößt. Wir denken, dass wir uns die kämpferische Jugend im französichen Territoirum, als Vorbild nehmen können. Nicht als Heldenverehrung sondern als Refernzpunkt für einen konkreten Vorschlag, den Vorschlag nicht einfach alles hinzunehmen sondern aufzustehen und zu revoltieren. Ohne Bosse, ohne Politiker, ohne Experten, nur wir, ausgestattet mit einem Verlangen nach Freiheit und einem würdevollen Leben.