[Dieser Text wurde uns per Mail zugesandt. Obwohl wir mit einigen Punkten nicht übereinstimmen und unsere Analysen teilweise in andere Richtungen gehen, veröffentlichen wir ihn dennoch als Anstoß zur Diskussion.]
Seit März 2016 wird in Frankreich gegen das loi El Khomri, das neue Arbeitsgesetz gekämpft, es hat sich eine breite Bewegung formiert, die vor allem wegen ihrer unterschiedlichen Protestformen beeindruckt. Wie stehen die Dinge nach vier Monaten Protest und dürfen wir uns auf einen heißen Sommer einstellen? Eine Bilanz.
14. Juni 2016, Paris. Der vordere Block einer Demonstration, der allein 10 000 Personen abgibt, zieht durch die Straßen der französischen Hauptstadt und hinter- lässt eine Spur der Wut: umgekippte Autos, eingeschlagene Fenster, bunte Banken, Nebelschwaden, brennende Mistkübel… Zur Ausrüstung der Demonstrant_innen zählen neben zahlreichen Wurfgeschossen, Gasmasken, Balaklavas und Transparenten: „Dernière sommation avant l’insurrection“ („Letzte Warnung vor dem Aufstand“) Bilder und Videos von überforderten Bullengruppen, deren Versuche, die Situation unter Kontrolle zu bekommen, kläglich scheitern, erobern die revolutionären Herzen.
Das ist die Vorhut, der Kopf der Demonstration, an dem eigentlich der Block der Gewerkschaft CGT vorgesehen gewesen wäre. Doch noch bevor dieser losgehen konnte, wurde er von einer Masse an Personen überholt, die keine Lust darauf hatte, als Anhängsel der Gewerkschaften der CGT und seinem Ordnungsdienst zu folgen. Ehe diese es sich versahen, war es ein spontaner Block unterschiedlichster Personen (organisierter und nicht organisierter, Gewerkschafter_innen, Autonomer…) die den Kopf der Demo an sich gerissen hatten. Nach ihnen marschieren die Blöcke der Gewerkschaften. Die Syndikate sprechen von einer Million Menschen auf der Straße, jedenfalls waren es mehrere hundert Tausend. Bis in die Nacht gibt es weitere Spontandemos und Aktionen.
Ein Tag, von dem alle mit glänzenden Augen heimkehren: sei es vom Tränengas oder berührt weil eins glaubte, den Wind der Revolution gespürt zu haben.
Was war davor? Grève, blocage, manif sauvage! (Streik, Blockaden, Spontandemos!)
Die Demo in Paris war wohl der Höhepunkt der Bewegung gegen das loi travail, das neue Arbeitsgesetz. Seit März wurde von verschiedensten Richtungen mobilisiert gegen ein Gesetz, das die Arbeit liberalisieren, die Arbeitszeiten verlängern und den Kündigungsschutz auflockern soll. Ein Gesetz, das als Konsequenz auch gewerkschaftliche Organisation und Solidarisierungen erschweren würde.
Die Bewegung wird getragen von verschiedenen Gewerkschaften, Studierenden, Autonomen, linken und anarchistischen Aktivist_innen, Prekären und vielen Individuen, die auf unterschiedlichste Art und Weise ihrem Unmut gegen den Gesetzesplan und/oder ein größeres Ganzes aus Staat und Kapitalismus Luft machen.
Losgetreten von Studierenden und Schüler_innen, sprangen im Frühling auch die Gewerkschaften auf den Zug auf. Diverse Sektoren wurden oder werden bestreikt, darunter die öffentlichen Transporte, die Häfen (also wirklich die mit den Schiffen) und Raffinerien sowie der Energiesektor. Es wurden Benzin- und Elektrizitätsengpässe erzeugt und zum Beispiel ganzen Nachbarschaften der Strom zum Nachttarif verkauft. Während dem Besuch von Präsident Hollande in Bordeaux, wurde der Strom der Veranstaltung, für die er gekommen war, für kurze Zeit abgeschaltet. Im Moment streiken die Straßenkehrer_innen und die Müllabfuhr, die Auswirkungen müssen wohl nicht näher erläutern werden.
An unterschiedlichsten Orten gab es Besetzungen von Gebäuden und Plätzen (die Nuit Débout), Spontandemos, Blockaden von Bahnhöfen, Autobahnen und Mautstellen und vieles mehr.
Die Aktionen kamen von unterschiedlichsten Seiten, trugen unterschiedlichste Handschriften und verfolgten unterschiedlichste Aktionspläne, die gemeinsame Strategie: den Alltag dieses Landes zu stören und wirtschaftlichen Schaden zu erzeugen.
Was kommt danach? Quarante neuf troi (493)
Die Regierung zeigt ihre beste Seite: Unbeeindruckt von den Protesten wendet sie das Gesetz 493 an, das erlaubt, Gesetze auch gegen die Mehrheit im Parlament durchzuboxen. Da kochen sogar die Demokratie-Gläubigen.
Weiters wurden die Proteste von Anfang an versucht zu spalten und von massiver Repression begleitet. Tränengas, Knüppel und Festnahmen stehen an der Tagesordnung. Der Demonstration vom 14. Juni gingen mehrere hundert persönliche Demonstrationsverbote voran, die beiden Demos danach wurden nur in massiv abgespeckter Variante nach Verhandlungen der Gewerkschaften mit den Behörden erlaubt und von massivem Polizeiaufgebot begleitet. Noch vor der Demo Rucksäcke durchsucht und Personen festgenommen.
Es ist nicht zuletzt der Ausnahmezustand, der nach den Anschlägen von Paris ausgerufen wurde, der den Repressionsbehörden zusätzliche Möglichkeiten gibt.
C’est qui les casseurs?
Eine auch in Österreich nicht unbekannte Strategie, um eine Bewegung zu delegitimieren, ist sie in Gewaltbereite und Friedliche zu spalten. Die casseurs (Randalierer, casser=zerstören) seien nicht Teil der Bewegung, sondern wären Jugendliche ohne politisches Verständnis. Das ist das Bild, das die französischen Medien im Einklang mit Politik und CGT kolportieren. Nicht selten sah eins den Ordnungsdienst der CGT gemeinsame Sache mit der Bullerei machen. Andererseits konnte im Laufe der Bewegung eine Annäherung und Solidarisierung zwischen den verschiedenen Formen des Protests erzeugt werden und bei großen Teilen der Bevölkerung Solidarität beobachtet werden.
Solche Verbindungen sind es, die diese Bewegung ausmachen. Politisiert zwischen den rechten Wutbürgern Wiens kann eins kaum glauben, dass die Fahrer_innen der blockierten LKWs tatsächlich solidarisch mit der Blockade sind, weil sie gerade am Tag zuvor selbst gestreikt haben.
Trotz alledem: Das fehlende Badewetter wird wahrscheinlich nicht von der Hitze der brennenden Polizeiautos ersetzt werden. Momentan sieht es eher so aus, als würde der Sommer die Bewegung abkühlen. Falls das loi travail im Sommer durchgesetzt wird – wonach es aussieht – wird der Bewegung ihre Basis entzogen und jede weitere Mobilisierung in dem Ausmaß schwierig. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass Verbindungen und Solidarisierungen anhalten, die Netzwerke stärken und der Repression, deren Nachwirkungen noch länger zu spüren sein werden, gemeinsam entgegengetreten werden kann. Denn wir wissen wer die casseurs sind: die Autorität, der Staat und der Kapitalismus. Das loi travail ist nur deren Symptom.